Armin Medosch über virtuelle Freundschaften

Mein Facebook-Freund? Nein, danke!

Im Juni 2007 erhielt ich eine Einladung jemandes Freund auf Facebook zu sein. Ich kannte Facebook aus den Medien und war nicht sehr gespannt darauf. Denn spätestens mit Friendster sollten die Erwachseneren unter uns das Kapitel abgeschlossen haben.

Der ganze Wirbel um Web 2.0, die hohen Verkaufspreise und Börsennotierungen für MySpace, YouTube und Google markieren einen neuen Boom. Statt Web 2.0 sollte es eigentlich New Economy 2.0 heißen.

Seit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg vor mehr als einem Jahr ein Kaufangebot von einer Milliarde zurückgewiesen hat, wird er als eine Art Wunderknabe gehandelt, ein neuer Steve Jobs. Und das obwohl seine alleinige Urheberschaft gerichtlich von ehemaligen Studienkollegen angefochten wird.

Also sagte ich mir, es kann nicht schaden, wenn ich mir das einmal genauer ansehe, aus rein forschender Neugier natürlich nur. Und so begann ich auf jede folgende Einladung mit einem Ja zu antworten. Bald hatte ich wie von Zauberhand ein persönliches Profil, ohne das ich viel dazu tun musste. Alles funktioniert sehr flüssig und userfreundlich. Man braucht nichts zu können und nichts zu wissen, die E-Mails von Facebook geleiten einen immer wieder zur eigenen Startseite zurück. Mit der Zeit sammelte sich eine illustre Runde von "Freunden" an, darunter Menschen, die ich wirklich gut kenne, aber auch Fremde. Zur Abschreckung publizierte ich ein Bild von mir als griechischer Gemüsebauer mit Wassermelonenbauch.

Doch es half alles nichts. Stetig kamen Einladungen jemandes Freund zu sein, manchmal eine am Tag, manchmal mehrere. Dazu gesellten sich diverseste Interaktionen, die Facebook anbietet. Ich sollte etwas auf die "Funwall" von jemandem posten oder Vampirküsse verteilen, ich wurde eingeladen, Interessensgruppen beizutreten und erhielt eine Blume geschenkt.

Zusätzlich zum Grundgerüst der Seite gibt es zahlreiche Plug-ins, von Facebook selbst geschriebene ebenso wie von Drittanbietern. Die meisten dieser Features sind spielerischer Natur und haben einen leicht frivolen wenn auch unschuldigen Charakter. Man müsste schon ein verbitterter Kulturpessimist sein, um Facebook dafür anzuprangern, auf diese Weise die menschlichen Beziehungen auf Bits zu reduzieren.

Ebenso könnte man sich darüber auslassen, dass die meisten dieser Interaktionen auf die Psychologie von 20-jährigen Studenten an US-Elite-Unis ausgerichtet sind. Was zwar stimmt, aber mich auch nicht weiter traurig macht, höchstens etwas nachdenklich, wenn ich an die vielen meist über 40-jährigen Intellektuellen denke, die auf Facebook einen neuen Frühling der Netzkritik erleben.

Dem Kern der Sache näher kommt eine Aussage eines Freundes und bekannten Netzaktivisten, James Stevens von Boundless, London: "I don't want to be a face in their book." In der Tat sind Facebook oder auch MySpace und viele andere dieser "sozialen Plattformen" eine zentralisierte Dienstleistung auf privatem Server-Territorium. Nicht nur, dass alles was von Usern auf Facebook in Form von Bildern oder Texten eingespeist wird, automatisch auch urheberrechtlich auf Facebook übertragen wird.

Viel mehr ist man an den dahinter anfallenden Daten interessiert. Von der Business-Presse wird Facebook-Gründer Zuckerberg bereits als eine Art Kartograph des Zwischenmenschlichen gefeiert. Die neuen Territorien, die hier ungeahnte Reichtümer versprechen, sind die gesammelten Daten der User und ihrer Interaktionen auf Facebook. Wie keine andere dieser Plattformen ist Facebook dahingehend optimiert, diese Daten zu sammeln und auszuwerten.

Gerüchte aus der Bloggerszene, dass die NSA, ein dem Pentagon unterstellter Nachrichtendienst, mehr als stiller Teilhaber an Facebook ist, müssen erst gar nicht wahr sein, um ein unheimliches Gefühl angesichts dieser angesammelten Datenfülle zu erzeugen. Erstens "arbeitet" in gewisser Weise ohnehin jeder für die NSA, der etwas am Internet macht, zweitens ist es eigentlich erschreckender, dass sich diese Daten in privater Hand befinden, denn kein Gesetz der Vereinigten Staaten hindert Facebook daran, mit diesem Wissen nun zu handeln.

Abgesehen davon, dass die angeblich über 50 Millionen User der superschnell wachsenden Plattform größtenteils zu den ökonomisch stärkeren und intellektuell-technisch avancierten Gruppen gehören, bleibt nur noch nüchtern festzustellen, dass hier die persönlichen, zwischenmenschlichen Beziehungen endgültig zur Ware werden - und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Doch auch diese Vervollkommnung des Info-Kapitalismus stört mich weniger als der Umstand, welche Propaganda und Gehirnwäsche damit betrieben wird. Der angebliche Erfolg der Site wird zum Beleg dafür hochstilisiert, dass amerikanischer Erfindungsgeist und technische Kreativität nach wie vor die Entwicklung in der Welt anführen. Dabei lautet die Formel allerdings nicht mehr "vom Tellerwäscher zum Millionär", sondern "vom Millionärssohn zum Multimilliardär".

Die meisten Web 2.0 Gründungen kommen von Kindern des Ostküsten-Geldadels oder von Westküsten-Technologie-Eliten. Mit Venture-Kapital gekaufte PR-Offensiven vermitteln die "Dynamik" und das angebliche Potenzial dieser Firmengründungen.

Dabei erfinden sie eigentlich nur das Internet noch einmal. Alles was das Internet eigentlich immer schon konnte, allerdings auf einer dezentralen Basis, wird von Facebook und Konsorten auf zentralisierten Web-Sites zusammengezogen. Anstatt eine dezentrale Struktur zu fördern, bei der die Intelligenz auf der Seite der User bleibt, die ihre eigenen Blogs betreiben, Fotos, Audio und Video im Netz veröffentlichen und überhaupt ein aktives Netzleben führen, wird hier der Genius ins Zentrum des Systems verlagert, dessen Wirken den Usern jedoch verborgen bleibt. Anstatt das emanzipatorische Momentum des Internet auszubauen, werden partizipative Mediennutzungsformen einmal mehr auf neoliberale Schiene gebracht.

Mittlerweile hat der Boom auch Österreich erreicht, wie ich durch viele freundliche Einladungen mitbekommen habe. Und auch bei den Politikern und anderen Weichenstellern haben die sozialen Netze zu Exuberanzen geführt. Seit Web 2.0 darf man wieder von in den Himmel wachsenden Zuckerbergen träumen.

Doch diese Zuckerberge stehen auf wackeligem Boden, schnell wie ein Kartenhaus können sie zusammenfallen. Niemand weiß, wie viele der User tatsächlich aktiv bleiben, ebenso umstritten sind viele andere Zahlenwerke, die Faceboook umranken. Wie viele der Nutzer verhalten sich wie ich und "verschmutzen" mit ihrem Verhalten die Genauigkeit der Analysen?

Genau aus diesem Grund bin ich übrigens, trotz wiederholter Versuchungen auszusteigen, bislang geblieben. Anstatt Facebook mit oppositionellen Taktiken zu bekämpfen lasse ich mein Daten-Double sein promiskuitives Netzleben fortsetzen und sage zu allem "Ja". Also meine Freunde, seid nicht enttäuscht, wenn ich auf Facebook nicht meine echten Freundschaften pflege.

Armin Medosch arbeitet im Bereich digitaler und vernetzter Kunst und Kultur als Autor, Künstler und Kurator.

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