Spiel mit Stereotypen
Natürlicher Roman
"Der Titel 'Natürlicher Roman' ist genau das Gegenteil von dem, was der Roman ist", so Georgi Gospodinov zu seinem neuen Buch. Mit diesem beweist er, dass es noch genug Texte gibt, die sich lesen wie frisch aus dem Literaturseminar für Dekonstruktion.
8. April 2017, 21:58
Eigentlich hat Georgi Gospodinov ja einen sehr einfachen Roman geschrieben. Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der sich von seiner Frau trennt, weil er allem Anschein nach nicht der Vater des zu erwartenden Kindes ist und nun versucht, sich alleine in der Welt zurechtzufinden. Aber diese Rahmenhandlung erschließt sich dem Leser erst nach und nach, denn das lyrische Ich ist fragmentiert, der Autor kaum mehr als solcher zu erkennen.
Es gibt einen Herausgeber, der zufällig das Manuskript eines Autors erhält und sich ebenfalls als Erzähler betätigt. Und so, als wäre das alles noch nicht genug, taucht auch noch ein Doppelgänger auf. Lose verbundene Erzählstränge, Abschweifungen und Reflexionsebenen durchsetzen den Text. "Natürlich" ist an diesem Roman nichts und der Titel somit wohl eine weitere ironische Brechung.
Das allzu Menschliche
Mehrmals fängt das Buch an, der Autor schwärmt davon, ein Buch zu verfassen, das ausschließlich aus Anfängen besteht und jedes Mal nach Seite 17 neu beginnen soll. Es gibt Passagen über die griechische Philosophie und über Carl von Linné.
Gospodinov liebt das Spiel mit Stereotypen. Er zitiert sie, um sie danach umzuwandeln und zu verändern und sie in gewissem Maße zu pervertieren. Neben den hehren Ausflügen in die Denkwelt griechischer Philosophen kommt auch das allzu Menschliche nicht zu kurz. Wohl kaum einen Roman gibt es, in dem so viel über Toiletten und den Stuhlgang geschrieben wird. Die klassische Literatur ekle sich vor diesen Dinge, sagt der Autor. Ihn aber interessieren die Toiletten über alle Maße, schließlich seien sie doch der einzige Ort, an dem Natur und Kultur aufeinander prallen.
Literarische Experimente
Gospodinov hat seinen "Natürlichen Roman" vor knapp zehn Jahren geschrieben. Das merkt man dem Text an. In seiner forcierten Modernität wirkt er seltsam antiquiert. Die Figuren gewinnen kaum Profil - sind sie doch nur Staffage, um literarische Experimente über sich ergehen zu lassen.
Wie sehr kann sich der Autor mit diesem Werk noch identifizieren? "In diesen zehn Jahren ist der Roman in zehn Sprachen erschienen. Dadurch wird er mir immer wieder ins Gedächtnis gerufen, weil ich immer wieder darüber sprechen muss", so Gospodinov. "Ansonsten hätte ich ihn wahrscheinlich schon vergessen."
Vom Alltag der Menschen
Der Roman ist auch eine Beschreibung des postkommunistischen Bulgarien. Seit dem Verfassen des Textes hat sich viel getan. Das Land ist nun Mitglied der EU, die Wirtschaft wächst. Trotzdem habe der Roman noch immer Bedeutung, sagt Gospodinov. Vor allem, was die Tragödie der kleinen Leute angehe. Schließlich habe der EU-Beitritt den Alltag der Menschen nicht verändert. Und um eben jenen Alltag gehe es in seinem Text.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 25. Jänner 2008, 16:30 Uhr
Ex libris, Sonntag, 27. Jänner 2008, 18:15 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Georgi Gospodinov, "Natürlicher Roman", Droschl Verlag