"Walküre" für Hitler und Stalin
Eisenstein und Prokofjew
Sergej Eisenstein, dessen Todestag sich am Montag zum 60. Male jährt, hat nicht nur in der Filmgeschichte, sondern auch in der Musikgeschichte Spuren hinterlassen. Vor allem durch seine Zusammenarbeit mit dem Komponisten Sergej Prokofjew.
8. April 2017, 21:58
Sergej Eisenstein, dessen Todestag sich am Montag zum 60. Male jährt, hat nicht nur in der Filmgeschichte, sondern auch in der Musikgeschichte Spuren hinterlassen, denen nachzugehen - sich lohnt.
Wer seinen Namen in die Suchfunktion eines deutschen Musiklexikons eintippt, erhält als Ergebnis natürlich mehrfach Sergej Prokofjew als Resultat. Macht man dasselbe allerdings in der englischen Musik-Enzyklopädie "Groves dictionary of music and musicians", dann werden zwar "Alexander Newskij" und "Ivan der Schreckliche" nicht verschwiegen, im Zentrum des Eisenstein-Artikels steht aber eine andere Produktion: Wagners Walküre und ein Sonderauftrag Stalins.
Panzerkreuzer Potemkin
Eisenstein war damals - im Herbst 1940 - nicht nur eine russische Filmlegende, sondern weltberühmt. Amerikanische Filmlexika bezeichnen etwa seine Sequenz von den Stiegen Odessas in "Panzerkreuzer Potemkin", auf denen das Militär mit erhobenen Gewehren und aufgepflanzten Bajonetten unerbittlich abwärts schreitet, eine junge Mutter erschossen wird, ihr führerlose Kinderwagen abwärts taumelt, eine alte Frau das Kind retten will und ebenfalls von den Kosaken getötet wird, als die berühmteste Filmszene aller Zeiten. Das alles hat Kultstatus und ist vielfach - vor allem im amerikanischen Film - zitiert worden.
Dieser legendäre Streifen, zu dem der Berliner Komponist Edmund Meisel eine von Eisenstein sehr geschätzte Musik geschrieben hat, konnte aber - auf dem Höhepunkt von Stalins Macht - dem Herrscher nicht mehr genehm sein. Revolution war gestern, ein in sich ruhender Sowjetstaat, der seine Bürger zufrieden stellt, ist heute und außerdem hat der unberechenbare Hitler gerade einen Krieg begonnen. Richtung Westen einstweilen noch, aber die Gefahr war offensichtlich. Da wollte man sich gut stellen: Stalin mit Hitler und Eisenstein mit Stalin.
Eisenstein und das Regietheater
1939 war der Nichtangriffspakt unterzeichnet worden und im November 1940 hatte Stalin eine deutsche Delegation eingeladen. Aus diesem Anlass fand im Moskauer Bolshoj-Theater eine Aufführung statt, die als ein kultureller Höhepunkt des Hitler-Stalin-Pakts gedacht war: Richard Wagners Walküre in der Inszenierung des bekanntesten russischen Regisseurs. Dank Eisensteins subversiver Kraft wurde daraus kein faschistisch-kommunistisches Stelldichein, sondern ein Ereignis, in dem sich die großen politisch-ästhetischen Konfliktlinien der Moderne abzeichneten.
Hier ist nicht der Platz, Inszenierungsdetails zu diskutieren, aber drei Einzelheiten sollen Eisensteins Sicht andeuten: Für ihn war Wotan natürlich ein Anarchist, Sieglindes Erzählung im ersten Akt wurde als Pantomime dargestellt und Hunding ist mit einer Garde von Henkern erschienen, eine Chiffre, die dann im Regietheater der Nachkriegszeit oft nachgeahmt wurde.
Zu dieser Zeit existierte bereits der erste Eisenstein-Film aus dem Jahr 1938 mit Prokofjew-Musik, "Alexander Nevskij", der in das Jahr 1241 zurückführt und in der berühmten Schlacht auf dem Eis, in dem die deutschen Kreuzritter - ihrer schweren Rüstungen wegen - eingebrochen sind, gipfelt.
Prokofjews Vertonung der Filmsequenzen
Im Produktionsjahr 1938, bevor Prokofjew von seiner letzten Auslandsreise heimkehrte, nahm er noch entscheidende Eindrücke mit nach Hause, die seine Zusammenarbeit mit dem Filmregisseur Eisenstein beeinflussen sollte.
Nicht zuletzt sein Besuch in den Disney Studios, wo er für Walt Disney auf einem Pianino eigenhändig die Themen seines sinfonischen Märchens "Peter und der Wolf", spielte, dessen Filmrechte Disney gerade erworben hatte. Zwar lehnte es der Russe ab, Musik für Disney-Filme zu komponieren, doch Interessierte er sich sehr für die Arbeitsweise, vor allem für die Art der Synchronisation von Bild und Ton, die Disney anwandte.
Prokofjews Arbeitsweise
Später, bei der Zusammenarbeit mit Eisenstein für "Alexander Nevskij", konnte Prokofjew diese Informationen nutzen - nun setzte er alle in Erstaunen über die Professionalität mit der er Abend für Abend sich - mit der Stoppuhr in der Hand - die einzelnen "Alexander Nevskij"-Szenen ansah, um ihren Rhythmus zu protokollieren. Am nächsten Morgen erarbeitete er mit den errechneten Einzelzeiten, seinen Aufzeichnungen und einem Metronom ein Klavierfassung der Szenen, die er Eisenstein dann synchron zum Ablauf der Filmsequenzen vorspielte und sich dabei noch notwendige Änderungen eintrug.
Es konnte allerdings auch vorkommen, dass er Eisenstein dazu brachte, das Tempo, oder auch inhaltliche Details einzelner Szenen, seinen, Prokofjews Vorstellungen entsprechend zu ändern.
Blechgepanzerte Klänge
Ursprünglich wollte Prokofjew für diesen Film authentische Musik aus dem Russland des 13. Jahrhunderts finden, doch endgültig entschloss er sich, keine historischen Vorlagen zu verwenden. Es wird niemand verwundern, dass er die deutschen Ordensritter, also die Aggressoren, deren Nachkommen in Kürze wieder solche werden sollten, durch markige, sozusagen blechgepanzerte Klänge charakterisierte, während er für die russischen Verteidiger üppige, klangvolle Melodik und volksliedhafte Rhythmen verwendete.
Am 1. Dezember 1938 kam der Film in die Kinos, hatte Erfolg und bald - genau seit dem 22. Juni 1941 - also sieben Jahrhunderte nach der Schlacht auf dem Eis, waren wieder Deutsche, die Aggressoren der Gegenwart auf dem Weg nach Moskau. Im Jahr danach bat Eisenstein Prokofjew erneut um eine Zusammenarbeit bei seinem nächsten Filmprojekt. Das Thema: "Ivan der Schreckliche", eine historische Figur, die Stalin sehr bewundert hat. Vier Jahre zog sich die Arbeit zu diesem dreiteiligen Projekt hin, der Krieg war schon lange beendet, da starb Eisenstein plötzlich an einem Herzinfarkt.
Posthume konzertante Fassung
Auch die Arbeit Prokofjews an der Partitur wurde mehrfach unterbrochen, und nach dem Tode Eisensteins hat auch er nicht mehr für diesen Film gearbeitet. Daher existiert weder eine originale Kantate wie von "Alexander Newskij" und auch keine Orchestersuite.
Einem posthumen Bearbeiter - Abram Stasevich - verdanken wir dennoch eine konzertante Fassung der vorhandenen, durchaus umfangreichen Filmmusik Prokofjews zu "Ivan der Schreckliche", die mehrfach - etwa von Riccardo Muti und von Valery Gergiev - im Plattenstudio produziert wurde.
Hör-Tipp
Musikgalerie, Montag, 11. Februar 2008, 10:05 Uhr