Hotel-Legende Chelsea

A rest stop for rare individuals

Arthur Miller, Leonard Cohen, Janis Joplin, Madonna, Falco, Thomas Wolfe, Andy Warhol: Das Chelsea Hotel in Manhattan hat Zeit seines Bestehens Künstler angelockt. Ein halbes Jahrhundert lang hat Stanley Bard das Hotel geleitet und geprägt.

"Gebt uns die Bards zurück", steht auf Transparenten geschrieben, die derzeit an einigen schmiedeeisernen Balkonen des berühmten Hotel Chelsea in Manhattan hängen. Gemeint ist die Familie Bard, die die berüchtigte Künstler-Absteige in der 23. Straße mehr als 70 Jahre lang leitete. Im Sommer 2007 wurde Stanley Bard überraschend als Hotelmanager entlassen - das Ergebnis eines Machtkampfes zwischen ihm und den beiden anderen Hotelbesitzern.

"Bring back the Bards!"

Stanley Bard übernahm die Leitung des Hotels 1957 von seinem Vater. Mehr als die Hälfte der rund 250 Zimmer und Appartements vergab der exzentrische Hotelmanager an Dauermieter. Die Bewohner wählte Bard meist persönlich aus. Dabei ging es dem Kunstliebhaber weniger darum, mit seinem Hotel möglichst viel Geld zu verdienen, wie er im Interview meint, sondern darum, das Hotel zu einem Ort kreativen Austausches zu machen.

Bard nahm bevorzugt Künstler, Musiker und Schriftsteller als Dauermieter im Chelsea auf. Die Höhe der Miete richtete sich auch nach den finanziellen Möglichkeiten der Bewohner. So mancher mittellose Künstler hat die Miete mit eigenen Werken beglichen. Die wertvollsten dieser Gemälde, Fotografien und Skulpturen können Gäste heute noch in der Empfangshalle bewundern, die weniger spektakulären hängen im Stiegenhaus oder in einem der düsteren Gänge der zwölf Stockwerke.

Rastplatz für rastlose Individuen

Einen "Künstlerhimmel" und den "letzten Außenposten der New Yorker Boheme" nannte die "New York Times", was Stanley Bard in den 50 Jahren seiner Managertätigkeit im Chelsea Hotel aufgebaut hat. "Das war gar nicht so einfach", meint der 73-Jährige dazu lapidar. Fest steht: In der freizügigen Atmosphäre des Hotels begannen große Künstlerkarrieren, Schriftstellervereinigungen wurden gegründet, politische Manifeste und literarische Meisterwerke wurden hier verfasst.

In der Lobby tippte Arthur C. Clark "2001, Odyssee im Weltraum", William S. Burroughs schrieb hier "The Naked Lunch", Arthur Miller "Nach dem Sündenfall". Das Hotel wurde zum Treffpunkt von "Radikalen” in den 1930er Jahren, von Beatniks in den 1950ern, von Hippies in den 1960ern und dekadenten Poseuren in den 1970ern.

Exzesse und Tragödien

Berühmt wurde das Chelsea nicht nur wegen seiner Bewohner, sondern auch wegen Drogenexzessen, Tragödien und Morden die sich in den Hotelzimmern ereigneten. "Heute ist es hier im Hotel viel sauberer", meint Judith Childs, die in den 1960er Jahren mit ihrem Mann, dem Maler Bernard Childs ins Hotel zog und seither hier lebt. "Damals wurde man schon high, wenn man durch den Flur spazierte, man musste sich nicht mal sein eigenes Zeug kaufen!"

Musiker wie Leonard Cohen, Jimi Hendrix, Janis Joplin und Nico experimentierten im Chelsea nicht nur mit Musik, sondern auch mit Drogen. Weltweit in die Schlagzeilen geriet das Hotel 1978, als Sid Vicious, Bassist der Punkband "Sex Pistols", im Drogenrausch seine Freundin Nancy Spungeon in Zimmer 100 des Chelsea Hotel erstochen haben soll. Wenige Monate später starb Sid Vicious an einer Überdosis Heroin.

Trübe Aussichten

BD-Hotels leitet das Chelsea seit Sommer 2007. Die Firma ist darauf spezialisiert, traditionsreiche alte Hotels in teure Edel-Hotels umzuwandeln. Das neue Management beteuert, das Chelsea im Sinne von Stanley Bard weiterführen zu wollen. Doch unter den Bewohnern wächst die Angst, der "alte Geist" des Chelsea könnte für immer verschwinden. Erste Anzeichen: Vor dem Hotel wurde eine Haltezone für Touristenbusse eingerichtet und der Hoteleingang wird von Sicherheitspersonal bewacht.

"Die gehen das ganz langsam an, weil sie Angst vor schlechter Presse haben", meint Ed Hamilton, ein Hotelbewohner, der seit einigen Jahren einen Internet-Blog über das Chelsea schreibt. "Zum Beispiel hat das Management beschlossen, dass keine neuen Dauermieter mehr aufgenommen werden. Und das alleine bedeutet ja schon das Ende des 'alten' Chelsea, weil kein frisches Künstlerblut mehr ins Hotel kommt. Bald wird das Chelsea ein Ort sein, an dem man einfach nur übernachtet! Das ist doch absurd, oder?"

Hör-Tipp
Tonspuren, Freitag, 19. Dezember 2008, 22:15 Uhr

Buch-Tipps
Ed Hamilton, "Legends of the Chelsea Hotel. Living with the Artists and Outlaws of New York's Rebel Mecca", Verlag B & T

Linda Troeller, "Atmosphere. An Artist's Memoir of the Chelsea Hotel", erscheint im Mitteldeutschen Verlag im Herbst 2008 auf Deutsch

Joseph O'Neill, "Netherland", Verlag Fourth Estate, im Mai 2008

Christof Graf, "Leonard Cohen. Partisan der Liebe", Verlag Vgs

Jim Devlin (Hg.), "Leonard Cohen. In eigenen Worten", Verlag Palmyra

Links
Hotel Chelsea
Living with Legends - Chelsea Hotel Blog