Star-Sopranistin Renata Scotto

Diva der Extreme

Eine Biographie mit Widerhaken - eine Stimme mit Widerhaken. Mit Renata Scotto feiert eine Widerspruch auslösende Star-Sopranistin der 1970er und 1980er Jahre ihren 75. Geburtstag - oder den 74., nach eigenen Angaben.

Renata Scotto in "La Traviata"

"Brava Callas"-Rufe bei TV-Opernübertragungen, in denen Renata Scotto gesungen hat, Buh-Kanonaden bei ihrer MET-Saisoneröffnungs-Norma, in ihrer Heimat Italien die Zurücksetzung gegenüber Kolleginnen, die sich's mit Medien und Intendanten besser standen - solche Ereignisse säumen Renata Scottos Aufstieg und die Zeit danach.

Die Stimmen-"Päpste" im deutschen und englischen Sprachraum schreiben über sie mit Geifer und sind sich einig: Die Stimme war kaputt, sobald die große Karriere begann. Und trotzdem hat die Sängerinnenlaufbahn von Renata Scotto genau ein halbes Jahrhundert gedauert, trotzdem hat sie ihre Fans bis heute, die sie als die bedeutendste italienische Sopranistin nach Renata Tebaldi klassifizieren. Wer auf der Bühne die Extreme lebt, löst vielleicht auch extreme Reaktionen aus. Und bei einem Opernabend mit Renata Scotto unberührt bleiben? Unmöglich!

Nachfolgerin der Callas?

Die Callas-"Nachfolge" - bei Renata Scotto immer ein Thema, im Zusammenhang mit dem alten Streit "Ausdrucksintensität" contra "Stimmschönheit". Die Scotto-Kritiker haben so böse Namen erfunden wie "Renata Screetcho", auf so manchen jaulenden Ton anspielend, und zum Teil muss man ihnen Recht geben. Dann nämlich, wenn man sich zum Vergleich mit späteren Aufnahmen anhört, wie die ganz junge Renata Scotto klingen konnte, in den 1950er und frühen 1960er Jahren, im "Belcanto"-Repertoire, als Sonnambula, Lucia di Lammermoor oder "Puritani"-Elvira.

Zwar sind die höchsten Noten, die sie trotzdem wagt, schon damals nicht gerade ihre Stärke gewesen, aber die Mischung: Perfektion im Ziergesang plus Grandeur und Melancholie im Ausdruck besticht. Und ein gewisser Callas-Klang ist unverkennbar, wenn Renata Scotto sich durch Lucias absinkende Skalen gleiten lässt und bei Hörerinnen und Hörern Gänsehaut erzeugt.

Ein lyrischer Sopran geht über seine Grenzen

Renata Scotto war damals schlicht ein lyrischer Koloratursopran, und so wurde sie auch eingesetzt: in Mailand als Adina neben di Stefano und Bastianini, als Norina im "Don Pasquale" unter Serafin, als Mimi. "Rigoletto", "Boheme" und "Lucia" waren erste Studio-Komplettaufnahmen.

Trotzdem: Wie an der Scala Herbert von Karajan "La Traviata" herausbrachte, gab er Mirella Freni den Vorzug - und erlebte prompt ein Desaster. Scotto hatte man erklärt, sie sei zu pummelig für die Rolle. Die Wende kam mit dem Debüt an der Metropolitan Opera 1965, in Puccinis "Madama Butterfly" - Liebe auf den ersten Blick zwischen ihr und dem New Yorker Publikum! -, und mit ihrer ersten Komplettaufnahme dieser Oper, ein paar Monate später, die einschlug: War da ein neuer Sopranstar für "dramatischen" Verdi und fürs Verismo-Fach gefunden?

Singschauspielerin und Primadonna der "MET"

Genau auf diesem Weg ging Renata Scotto weiter, in ihrer nach weiteren Konflikten mit der Führung des Mailänder Teatro alla Scala ganz auf die USA konzentrierten Karriere. Von "Sizilianischer Vesper" bis "Manon Lescaut", von "Adriana Lecouvreur" bis "Francesca da Rimini" fiel ihr an der MET die komplette Palette von Primadonnen-Rollen zu, an die sie mit Mut zum Pathos und mit der Bereitschaft zu physischem und vokalem Totaleinsatz heranging.

Wie oft zitterte das Publikum mit Renata Scotto ums Durchkommen, wie oft stand die MET Kopf, wenn das Sing-Schauspieler Duo Scotto/Domingo angesetzt war! Die gemeinsamen Plattenaufnahmen sind in vielen Fällen bis heute Referenz-Einspielungen geblieben.

Regie und Meisterkurse

Erst in den 1990er Jahren verlagerte sich Renata Scotto allmählich auf Rollen wie Marschallin im "Rosenkavalier", die Frau in Poulencs "Voix humaine", Kundry, Klytämnestra - und aufs Regieführen.

Auch Gesangs-Meisterkurse mit Renata Scotto werden angeboten, bei denen zu bewundern ist, wie gekonnt sie nunmehr die den Nachwuchs animierende Lehrerin mimt und die Ratsuchenden mit leuchtenden Augen dazu anfeuert, "wahrhaftig" zu sein. Wahrhaftig, bedenkenlos, einmalig - drei Attribute, die Renata Scotto selbst niemand streitig macht.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 21. Februar 2008, 15:06 Uhr