Neue Möglichkeiten
Weltkommunikation
1858 treffen sich die die amerikanische USS Niagara und die britische HMS Agamemnon auf halber Länge zwischen Irland und den Vereinigten Staaten. Beide Schiffe haben Tausende Kilometer Telegrafenkabel an Bord. Ein Experiment beginnt.
8. April 2017, 21:58
Die Stimmung an Bord des britischen Segelschiffes HMS Agamemnon und der amerikanischen Dampf-Fregatte USS Niagara ist optimistisch, obwohl ein erster Versuch, die USA und die Britischen Inseln mit einem 3.000 Kilometer langen Telegrafenkabel zu verbinden, im Jahr davor fehlgeschlagen ist.
Die Verlegung des ersten transatlantischen Tiefseekabels ist ein ambitioniertes Experiment, vor allem in technischer Hinsicht - von der Isolierung der Leitungen bis zu ihrer Deponierung im Meer. Das Wissen über die Elektrizität ist noch sehr beschränkt. Die Ingenieure lernen per Versuch und Irrtum. Was sich später rächen soll.
Das Treffen
Am 26. Juni 1858 treffen sich die Agamemnon und die Niagara bei 53 Grad 17 Minuten nördlicher Breite und 33 Grad 18 Minuten westlicher Länge im Atlantik. Der Projekt-Ingenieur Charles Bright beschreibt das Verknüpfen der zwei Kabelteile:
Das Kabel an Bord der Niagara wurde auf die Agamemnon gereicht und dort mit der zweiten Kabelhälfte verbunden. Man legte ein Sixpence-Stück als Glücksbringer in die Manschette, und um 2.50 Uhr Greenwich Time wurde das Kabel langsam über Board gelassen, um auf ewig im Wasser zu verschwinden.
Gegen Mitternacht haben die Niagara und die Agamemnon bereits 21 Meilen Transatlantikkabel ausgelegt. Um halb drei sind es bereits 40 Meilen, von rund 2000. Um drei Uhr vierzig berichtet ein Ingenieur, dass das Kabel gerissen sein muss. Es ist bereits der zweite Kabelbruch. Kurze Zeit später ist klar, dass die 40 Meilen Kabel verloren sind.
Aber es ist soviel Material an Bord, dass man ohne Probleme wieder von neuem beginnen kann. Erst wenn beide Schiffe jeweils 250 Meilen verloren haben, müssen sie nach Queenstown zurückkehren, so die Abmachung.
Technische Hürden
Vor den Schwierigkeiten der Verlegung liegen jede Menge allgemein-technische Hürden. Auf die Isolierung haben die Briten ein Monopol. Sie verwenden dazu das kautschukartige Gutta Percha, das sie in ihrem Einflussbereich Malaysia gewinnen.
Dazu kommt die Frage: Wo verlegt man ein mehr als 3000 Kilometer langes Kabel am besten? Hinweise dafür lieferte ein amerikanischer Militär, der eine Erhebung im Nordatlantik entdeckte: das sogenannte "Telegraphenplateau". Die Agamemnon und die Niagara fahren nun über dem Telegraphenplateau Richtung Irland und Neufundland.
Kabelbrüche
Dienstag, den 29. Juni 1858 sind bereits 76 Meilen des neuen Kabels ausgelegt, am nächsten Tag 146, wie der Projekt-Ingenieur Charles Bright in seinem Tagebuch dokumentiert.
Die Agamemnon machte zu diesem Zeitpunkt drei Knoten, das Kabel lief mit dreieinhalb Knoten in die See. Alles ging perfekt nach Plan. Plötzlich, ohne Vorankündigung, reißt das Kabel.
Wie sich später herausstellt, ist das Kabel beim Sturm beschädigt worden. Deshalb das Missgeschick - es ist bereits der fünfte Kabelbruch. Die Agamemnon kehrt, wie abgemacht, nach Queenstown Harbour zurück, um Vorräte und neue Kabel an Bord zu nehmen.
Nach den schlechten Nachrichten ist der Vorsitzende des Projekts, Sir William Brown, dafür, das Unternehmen aufzugeben. Andere Mitglieder des Vorstands wollen weitermachen. Brown tritt zurück, und am 17. Juli laufen die Agamemnon und ihre Begleitschiffe erneut aus.
2050 Meilen Kabel
Am 27. Juli trifft die Agamemnon erneut auf die Niagara. Wieder werden Kabel mitten im Atlantik verspleisst. Am 31. Juli haben die beiden Schiffe schon 640 Meilen verlegt, mit rund 27 Prozent Verlust an Kabel, aber ohne Totalverlust der Verbindung. Einen Tag später sind es bereits 884 Meilen, mehr als ein Drittel der Strecke. Am 4. August 1858 ist die Agamemnon nur mehr 90 Meilen von ihrem Ziel Valentia Island in Irland entfernt.
Fast zur selben Zeit läuft die Niagara in Trinity Bay in Neufundland ein. Die beiden Schiffe haben 2050 Meilen Kabel verlegt und damit zwei Kontinente verbunden.
Von Beginn an gefährdet
Mary Godwin, die Direktorin des Porthcurno Telegraph Museum in Cornwall vergleicht diese Leistung in viktorianischer Zeit mit der Mondlandung 100 Jahre später. Und tatsächlich ist das Transatlantik-Kabel ein Medienereignis. In den USA werden Reste des Kabels in 4-inch-Stücken teuer in einer Schatulle verkauft.
Das Kabel ist von Beginn an gefährdet, Haie setzen ihm genauso zu wie Würmer, die die Gutta Percha-Isolierung anknabbern.
19 Stunden Übertragungszeit
Eines der ersten Telegramme schickt Queen Victoria am 16. August 1858 über den Atlantik - der Empfänger: der US-Präsident Buchanan, es ist eine Gratulation zur gelungenen Verlegung des Transatlantikkabels. Dieses Telegramm brauchte 19 Stunden, bis es bei Präsident Buchanan ankam - statt 45 Tagen auf dem Seeweg.
Lang lebt die erste Verbindung über den Atlantik jedoch nicht. Da das Signal immer schwächer wird, schickt der zuständige Ingenieur immer höhere Spannungen durch. Am Schluss sind es 2000 Volt, die die Telegramme durch das Kabel treiben. Zu viel. Noch im selben Monat, in dem das Kabel seinen Betrieb aufgenommen hat, im August 1858, gibt es seinen Geist auf.
Die erste ständig funktionierende Verbindung wird erst 1866 in Betrieb gehen.
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipps
Frank Hartmann, "Globale Medienkultur. Technik, Geschichte, Theorien", UTB 2006.
Edith Dörfler, Wolfgang Pensold, "Die Macht der Nachricht. Die Geschichte der Nachrichtenagentur in Österreich", Molden 2001.
Link
History of the Atlantic Cable & Undersea Communications