Ostöffnung offensiv annehmen

PAUHOF Architekten

Im März gibt Turn On im Wiener Radiokulturhaus einen Überblick zur Architekturszene Österreichs. Die Präsentationen werden durch den Turn On Talk ergänzt. Im Mittelpunkt steht dieses Mal der Zeitsprung 1968 bis 2008. Dazu hat oe1.ORF.at auch alle Vortragenden befragt.

Gerade bezüglich der Stadt Wien habe sich die Ausgangslage und Problemstellung mit der Ostöffnung völlig verändert, so PAUHOF Architekten. Das solle offensiv angenommen werden - speziell in der Stadtplanung.

Was muss Architektur aus Ihrer Sicht leisten?
Architektur hat im Wesentlichen zwei Kriterien zu erfüllen. Einerseits sollte sie in einem Gemeinwesen als kulturelle Kraft wirken und damit Identität stiften. Andererseits hat sie dem Individuum zu dienen, seine konkrete Lebenssituation zu berücksichtigen beziehungsweise dessen Alltag angenehm erleben zu lassen - auch in seiner Grausamkeit.

Fühlen Sie sich in Ihrer Entwurfsarbeit frei, Ihre Kreativität zu entfalten, oder sehen Sie sich überwiegend äußeren Zwängen unterworfen? Wenn ja, welchen?
Die Entwurfsarbeit des Architekten ist nie wirklich frei. Im Gegensatz zu vielen Kollegen zählen wir die Architektur nicht zur Kunst, obwohl oder gerade weil wir durchaus mit Künstlern zusammenarbeiten und im Rahmen des Kunstraumes - in Galerien und Kunsthallen - ausgestellt haben. Es gibt einen klaren Unterschied zwischen dem Autonomen, Selbstbestimmten der Kunst und dem Heteronomen, Fremdbestimmten der Architektur. Architektur muss sich gesellschaftlich legitimieren, um überhaupt Autonomie zu erlangen, um real werden zu können.

Architekturen bilden immer den Hintergrund für menschliche Ereignisse. Das Ambivalente ist wichtiger als das Fundamentale. Für das Entstehen von Architektur - unabhängig davon, ob sie schon über ein Bauwerk definierbar, interpretierbar ist, oder nicht - nehmen wir Bezugsfelder in Anspruch, in denen das Reale und weniger kontrollierende, politisch-bürokratische Mechanismen eine Rolle spielen, das heißt wir versuchen im Dialog mit der Gesellschaft Antworten auf reale Fragen zu geben.

In einem Land, das von beharrenden Institutionen beherrscht wird, ist das schwierig. Sie versuchen Erkenntnisprozesse, Entwurfsmodelle, die sich den vorherrschenden Bewertungskriterien entziehen, abzuwenden.

Gibt es so etwas, wie eine "68er-Architektur" aus Ihrer Sicht, und wenn ja, welches wäre ihr herausragendes Beispiel?
Sehr eindeutig ist das nicht mit der "68er-Architektur" in Österreich. Es konnte in diesem Land schon die Moderne mit ihren emanzipatorischen, linken Ansätzen kaum Fuß fassen. Karl Schwanzer, Roland Rainer, der Werkgruppe Graz, … gelangen trotzdem exemplarische Bauten. Oder: Domenig/Huth stellten schon 1963 mit ihrem Wohnbauprojekt Ragnitz - international durchaus beachtet - die Grundsätze des CIAM in Frage. In Anton Schweighofers Bauten aus dieser Zeit manifestieren sich ambitionierte Sozialexperimente die derzeit völlig unverständlicherweise mit den Bauten entsorgt werden.

Einzig die heute noch frisch und utopisch wirkenden Zeichnungen der damals formierten Gruppen (Haus-Rucker, Coop Himmelblau, Zünd-up) landeten später in internationalen Sammlungen und beeinflussen die gegenwärtige, eher unpolitische Studentengeneration. Ironischerweise könnte man darin Vorboten der späteren, leicht konsumierbaren postmodernen Architektur sehen.

Wo sehen Sie die großen Kontinuitäten von 1968 bis heute, wo die Brüche? Konnte sich die Kreativität vor vierzig Jahren freier entfalten oder wird diese Zeit im Nachhinein verklärt?
Nochmals: 68 war in Österreich ein völlig normales Jahr. Die Aktionisten formierten sich früher, die Politisierung zum Beispiel an der Architekturfakultät der TU Wien begann später. Gerade in der Architektur gibt es hier keine Kontinuität von 68 bis heute. Das mag man bedauern oder auch nicht. Gerade bezüglich der Stadt Wien hat sich die Ausgangslage/Problemstellung mit der Ostöffnung völlig verändert. Das sollte offensiv angenommen werden - speziell in der Stadtplanung. Wien hat sich und wird sich verändern, ob man das will oder nicht. Und das wird der Stadt gut tun, wenn dafür die nötige kulturelle Offenheit einhergeht.

Karriere und Vermarktung spielen heute eine wichtige Rolle. Steht dies der Kreativität von Architekt/innen entgegen?
Karriere und Vermarktung sind in unserer Gesellschaft eng mit den Slogans Kreativität und Innovation verwoben. Die Werbung ist voll von diesen leeren Hülsen und inzwischen hat sich ja auch eine Kreativwirtschaft herausgebildet. Aber die Realität zeigt eine andere Wirklichkeit. Wir als Architekten wollen mit diesen Begriffen nicht mehr in Zusammenhang gebracht werden.

Spielen vergangene Entwicklungen und Traditionen für Sie als Architekt/in eine Rolle, oder dominieren Ihre Arbeit Fragen der Gegenwart?
Für die Gestaltung der gegenständlichen Umwelt gibt es - neben kulturellen Traditionen - noch einen entscheidenden Anhaltspunkt und das ist die unausweichliche Beziehung zwischen Form und Funktion. Wie diese Beziehung verläuft - wer wem folgt - ist Sache subjektiver Festlegungen. Die Form an und für sich ist aber in der Architektur undenkbar, sich auf formal-ästhetische Untersuchungen zu beschränken, nicht zielführend. Nimmt man die Probleme der Gegenwart ernst, bedarf es der Erfindungen, muss die Schaffung neuer Wirklichkeiten angestrebt werden. Wir ziehen daher das Wagnis dem Gedächtnis, dem Wissen vor.

Wir scheuen keine Radikalität, auch wenn sie beim Betrachter Widerspruch hervorruft. Das betrifft speziell den Maßstab, den Grad der Abstraktion und das Bizarre im Zusammenfügen der Teile, neben Licht und Materialwirkung die grundlegenden Mittel. mit denen Architektur zum Ausdruck gebracht werden kann und soll.

Was würden Sie gerne entwerfen/bauen, wenn Sie keinen äußeren Zwängen unterworfen wären?
PAUHOF hätte gerne ihre international publizierten/ausgestellten Entwürfe wie: Wien Nord, Synthese Museum Wien, Schwarzenbergplatz, Regierungsviertel im Spreebogen Berlin, die Souks von Beirut..., oder jetzt: den Erste Campus Wien gebaut.

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