Entstanden in Schuberts Todesjahr
Das Höchste in der Kunst
Schuberts Messe in Es-Dur gehört in die Reihe der größten Mess-Vertonungen in der christlichen Liturgie-Tradition. Ihr symphonischer Charakter, ihre aufwühlende Aussagekraft sprengt den Rahmen der Kirche. Zwei Interpretationen im Vergleich.
8. April 2017, 21:58
Harnoncourt und Weil dirigieren Schubert
Im Februar 1828 schickte Schubert dem Mainzer Musikverlag Schott eine Liste bis dahin noch ungedruckter Kompositionen, von denen er hoffte, dass der Verlag sie übernehmen würde: Das waren vor allem Lieder, Klavierstücke, Streichquartette. Dieser Liste fügte er noch folgenden Nachsatz an:
Dieß das Verzeichniß meiner fertigen Compositionen außer 3 Opern, einer Messe und einer Sympfonie. Diese letztern Compositionen zeige ich nur darum an, damit Sie mit meinem Streben nach dem Höchsten in der Kunst bekannt sind.
Auseinandersetzung über den Tod
Das Höchste in der Kunst - Schubert sah es in den Opern "Alfonso und Estrella", "Die Verschworenen" und "Fierrabras", in der großen C-Dur-Symphonie und in der As-Dur-Messe. Diesen Anspruch des Höchsten in der Kunst, den Schubert an sich stellt, erfüllt mit Sicherheit auch seine letzte Messe in Es-Dur. Sie ist ein halbes Jahr nach dem Brief an Schott in Mainz entstanden.
"Diese Musik ist keine Frömmigkeitsübung, sondern eine von Schubert leidenschaftlich geführte Auseinandersetzung über den Tod", so Nikolaus Harnoncourt über Schuberts im Todesjahr 1828 entstandene Es-Dur-Messe.
Kyrie im Vergleich
Der Beginn des Kyrie im Vergleich: Harnoncourt lässt zuerst die Streicherbässe, dann die Sängerinnen und Sänger das Kyrie überpunktieren, "Ky-r i-e", das pochende, drängende der Bitte nach Erbarmen verstärken, zu hören im ersten Teil unseres Audio-Files.
Bruno Weil holt die Streicher-Bässe mehr in den Vordergrund, die Bläser wirken räumlich weiter weg, sind weniger mahnend-bedrohlich. Die Punktierung im Chor ist nicht so über-akzentuiert wie bei Harnoncourt (zu hören im zweiten Teil des Audios).
Eine Missa solemnis
Schubert begann mit der Arbeit an der Es-Dur Messe im Juni 1828 und schloss sie wahrscheinlich im Herbst des Jahres, wenige Wochen vor seinem Tod, ab. Auftrag dafür gab es, so viel wir wissen, keinen, die Uraufführung fand am 4. Oktober 1829 statt, in der Dreifaltigkeitskirche in der Alser Vorstadt. Die Es-Dur Messe ist wie die in As-Dur eine sogenannte Missa solemnis. Nicht nur, was ihre Ausdehnung anlangt, sie dauert gut über 50 Minuten, kann also, wenn im liturgischen Kontext, dann nur im Rahmen eines feierlichen Hochamts aufgeführt werden, sondern auch was ihren Stil und ihre Wirkung betrifft.
Die Es-Dur-Messe gehört in die Reihe der größten Mess-Vertonungen in der christlichen Liturgie-Tradition, man muss sie in einem Atemzug mit Beethovens Missa solemnis oder Bachs h-moll-Messe nennen. Ihr symphonischer Charakter, ihre aufwühlende Aussagekraft sprengt den Rahmen der Kirche, will einen großen Konzertsaal.
Bewusste Auslassungen oder Lücken der Nachlässigkeit?
Schubert hat sechs Messen komponiert. Auffallend ist das, was er weglässt und zwar immer. Konstant fehlt in allen seinen lateinischen Messen das: "credo in unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam" ("Ich glaube an die eine, heilige katholische und apostolische Kirche"). Man weiß, dass Schubert gegenüber der Amtskirche und ihren Vertretern eine tiefe Abneigung empfand. So schreibt er am 29.Oktober 1818 aus dem heute slowakischen Zelez an den Bruder Ignaz in Wien: “Der unversöhnliche Haß gegen das Bonzengeschlecht macht dir Ehre. Doch du hast keinen Begriff von den hiesigen Pfaffen...“
Es ist allerdings viel zu kurz gegriffen, daraus eine allgemeine Kirchenfeindlichkeit Schuberts abzuleiten. Schubert hat ganz präzise Kritikpunkte - einschüchternde, dumme Predigten, das ist es, was ihm zuwider ist:
Man wirft hier auf der Kanzel mit Ludern, Kanaillen etc herum, dass es eine Freude ist, man bringt einen Totenschädel auf die Kanzel, u. sagt: da seht her, ihr pukerschäkigten Gfrieser, so werdet ihr einmal aussehen. Oder: ja, da geht der Bursch mit'n Mensch ins Wirtshaus, tanzt die ganze Nacht, dann legen sie sich besoffen nieder, und stehen ihrer drey auf u.s.w.
Das Unausgesprochene liegt in der Musik
Dogmatische Enge und Förmlichkeit sind ihm ein Gräuel, wahre Andacht und Gläubigkeit sehen bei Schubert anders aus. Er vertont einen Satz nicht, weil er ihn nicht glaubt, oder weil er - auch diese Vermutung wurde angestellt, weil er den genauen Messtext vergessen hat - Schubert legt das Unausgesprochene einfach in die Musik.
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