Verzweiflung pur
Boat People
Die Bilder sind spätestens seit den 1970er Jahren bekannt: salzwasserverkrustete, von Strapazen gezeichnete Gestalten auf gerade noch schwimmenden Booten, und ihre resolut bis hilflos wirkenden Helfer. Beginnt nun das neue Leben?
8. April 2017, 21:58
Nach dem Vietnamkrieg sprach man zum ersten Mal von ihnen. Man nannte sie "Boat People", denn sie vermittelten das Gefühl, dass sich ein ganzes Volk aufmache, um dem Terror der neuen Machthaber zu entkommen. Fassungslos fragte man damals, wie verzweifelt diese Menschen sein mussten, wenn sie lieber in Kauf nahmen, vom Meer verschlungen zu werden, als weiterhin ein Leben in Angst zu verbringen. Wie viele sich auf den Weg machten, wie viele ertrunken sind, von Piraten erschlagen wurden oder verhungert sind, kann nur geschätzt werden. Eine vietnamesische Quelle (hanoi.not.free.fr) spricht von 796.310 Menschen, die zwischen 1975 und 1995 per Boot flüchteten.
Im Exil auch nicht glücklicher
1978 befand sich auf einem der Boote die erst sechs-jährige lê thi diem thúy mit ihrer Familie. Sie schafften es, zu überleben. Zwei ihrer Verwandten ertranken allerdings. Die kleine Familie durfte sich in Südkalifornien ansiedeln - was sie dort erlebten, hat lê in ihrem Roman "Das Weinen des Schmetterlings" niedergeschrieben, der sich sofort nach Erscheinen in die Bestsellerlisten katapultierte.
Es war ihr erster Roman, aber nicht ihre erste künstlerische Arbeit: 1993 reiste sie, unterstützt von ihrem College, auf der Suche nach ihren Wurzeln in die ehemalige Hauptstadt Vietnams, Paris - Vietnam war französische Kolonie. Dort suchte sie alte Ansichtskarten aus dem Vietnam der Jahrhundertwende, vor allem Fotos von Menschen, um sie in ihrer ersten Performance "Red Fiery Summer" zu zeigen.
Versuch der Vergangenheitsbewältigung
Diese erste Performance, in der sie die Grausamkeit anprangert, mit der die Urwälder Vietnams abgefackelt wurden, machte sie berühmt. Knapp danach erschien ihr erster Roman. Ihr zweiter Roman, der noch nicht erschienen ist, wird auf ihrer zweiten, ebenfalls sehr erfolgreichen Performance aufbauen: "The Bodies Between Us" - ein weiterer Versuch, die Vergangenheit zu bewältigen. Und die Grenzen des Erträglichen auszuloten. Und um auszuloten, wie sie selbst sagt, "wie lange Zorn beschwichtigt werden kann, bevor er explodiert - und was der stille Zorn auffrisst".
lê thi diem thúy hat Vietnam 1998 besucht, 20 Jahr nach der Flucht - ein Anstoß, sich mit dem "Bild", das "die im Westen" von ihrer alten Heimat haben, auseinanderzusetzen - und das Bild zu korrigieren.
Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 6. März 2008, 11:40 Uhr
Buch-Tipp
lê thi diem thúy, "Das Weinen des Schmetterlings", Luchterhand
Link
disinfo.com - lê thi diem thúy