Bemühen um Nähe

Hanna und ich

Stilsicherheit und ein eigener Ton sind schon bei Andrea Winklers Debütband "Arme Närrchen" aufgefallen, in "Hanna und ich" kann man dem wieder begegnen. Andrea Winkler hebt sich damit deutlich von einem Großteil der Literatur dieser Jahre ab.

Immer an diesem Punkt strahlt quer durch den Kastanienbaum der Funke einer Geschichte, aber ich weiß so wenig wie Hanna, zu wem er gehört, zu Hanna und mir, zu denen, die sie in ihre Fäden verspinnt, von denen sie in ihre Fäden versponnen wird.

Ein Satz aus Andrea Winklers neuem Prosaband "Hanna und ich", der viele Funken einer Geschichte strahlen lässt, aber eine fassbare Geschichte hartnäckig verweigert.

Die Geschichte: ist im Suchen begriffen. Immerhin!

So steht es geschrieben am Eingangsportal, auf der ersten Seite, die Orte und Figuren auflistet, und schon die Orte sind unsicher. Nur die Figuren stehen fest: Herr Emm, Rio, Lea, Hanna und ich.

Angst und Sehnsucht

Hanna und ich, das ist, wie der Titel nahelegt, die Hauptachse der 28 kurzen absatzlosen Kapitel.

Ich weiß nicht, ob es stimmt, dass alles anders wäre, wenn ich nicht ausgerechnet mit Hanna die Räume teilte, mit ihrem Schweigen und Starren, den eingerollten Fingern, den Bildern, die aus dem Teppich kommen.

Das fragt sich dieses Ich einmal. Hanna entzieht sich, und das Bemühen, ihr nahe zu kommen, zieht sich durch das ganze Buch.

Meine Sätze für Hanna gehen mir langsam aber stetig aus, und die Angst wird dann und wann größer, dass Hanna mir entgleitet, dass sie sich am Ende doch in Staub auflöst und die Frage nach den mitsprechenden Stimmen liegen lässt auf dem Tisch.

So heißt es in einem der letzten Kapitel.

Mit dem Text verschmelzende Zitate

Der Ausgang des Ganzen ist ungewiss. Ausgang - das würde ja wieder eine geradlinige Geschichte voraussetzen. "Ja, wie haben Sie den überhaupt gelebt, wenn Sie keine Geschichte haben?", fragt eines der in den Text eingestreuten Zitate - Zitate, die am Ende als solche ausgeschildert sind und dennoch kaum mehr kenntlich sind, mit dem Text verschmelzen. Zitate unter anderem von Ilse Aichinger, Maurice Blanchot, Robert Walser und Friederike Mayröcker; Zitate von Schriftstellerinnen und Schriftstellern also, die dafür bekannt sind, dass sie das fortlaufende Erzählen, den nachvollziehbaren Zusammenhang verweigern.

Zusammenhänge gibt es dennoch viele im Buch: immer wiederkehrende Orte, Situationen, die sich wiederholen, Sätze, die wiederkehren oder variieren.

Nachts laufe ich in den Keller und füge die alten Worte zusammen, ob sie halten oder nicht, ich begehre einen Zusammenhang.

Auch dieser Satz steht im Buch, und er sei zitiert, um zu zeigen, dass der Text von beidem getragen ist: vom Gestus eines positiven Aufbrechens vorgefertigter Zusammenhänge wie von einer immer wieder spürbaren Traurigkeit, dass sich die Zusammenhänge nicht herstellen.

Kein gängiger Erzählzusammenhang

"Wie sollte ich mich nicht danach sehnen, dass Hanna einmal wieder sprechen wird", heißt es an einer Stelle, und "Ich will nicht, das Hanna verschwindet, dass sie ausscheidet" an einer anderen. Das Motiv der Suche und des Wunsches ist allgegenwärtig, auch in der Aufforderung "Erfinden wir die Geschichte, die wir verlieren!"

Es zeigt sich sehr deutlich, dass Andrea Winkler den gängigen Erzählzusammenhang nicht etwa aus einem ideologischen Erzählverbot heraus verweigert, sondern aus der fundamentalen Erfahrung, dass die Zusammenhänge verletzt sind, angegriffen, und dass es einem immer wieder aus ihnen hinauswirft - im Leben wie im Text. Mit einem seiner Sätze scheint dieser Text sich selbst zu beschreiben:

Ein ständiges Kippen von hier nach dort, immer ein Fallen von einem ins andere Bild, ein Wanken und Taumeln, nur um –

Sätze, die einen nicht in Beschlag nehmen

Wie man als Leser damit umgehen könnte, auch dafür hält der Text - nein, kein Rezept bereit, aber eine Frage, mit der man es versuchen könnte:

Haben Sie auch etwas darin gesucht, Ihre Geschichte oder eine andere? Haben Sie die Sätze hin- und herschwingen lassen wie ein Kind auf der Schaukel?

Ja, die Sätze! Ziemlich viele wurden schon zitiert, und wenn ein Rezensent allzu viel zitiert, liegt der Verdacht nahe, dass er in Verlegenheit ist, weil es ihm nicht gelingt, adäquat über den Text zu sprechen oder dass ihn einfach der Sog der Sätze nicht loslässt. Dieser Sog ist stark in Andrea Winklers Prosa, doch es sind keine Hammersätze, die einen in Beschlag nehmen, sondern subtile Erfindungen, die Staunen und Innehalten lassen. Gelegentlich verliert man dabei die Geschichte, die zerbrochene Geschichte, die gesucht werden will, aus den Augen und bleibt ganz in den Sätzen.

Impulse von Friederike Mayröcker

Die erstaunliche Stilsicherheit und der eigene Ton sind schon bei Andrea Winklers Debütband "Arme Närrchen" aufgefallen, und in "Hanna und ich" kann man dem wieder begegnen. Andrea Winkler hebt sich deutlich ab von einem Großteil der Literatur dieser Jahre, die sehr selbstverständlich den erzählbaren Geschichten vertraut. Sie mag Impulse bekommen haben von Friederike Mayröcker, über die Andrea Winkler ihre Dissertation geschrieben hat, vor allem aber lässt sie die scheinbar so mühelose Verbindung von Traum und Kalkül wie das Schweigen, das der Text unabdingbar mit sich führt, als eine Verwandte Ilse Aichingers erscheinen.

Das Schweigen: einmal macht die Ich-Figur in Andrea Winklers Buch einen Vorschlag, den Text ganz zu reduzieren und die Suche nach der unauffindbaren Geschichte aufzugeben. Er sei am Schluss - noch einmal - zitiert:

Die Geschichte, die ich nicht finde und nicht verstehe, verknappen wir auf ein Wort, ein einziges, eine Aufforderung, eine Bitte, einen Wunsch, und dann fliegen wir mit ihm durch die Luft und rufen – Was? Entspann dich! Wenn du Angst hast, nützen meine Kunststücke nichts! Hanna!

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Andrea Winkler, "Hanna und ich", Literaturverlag Droschl