Klassiker aus Belgien

Im Land der Comics

Belgien ist das Land der Comics-Zeichner. Viele der berühmtesten Comics kommen von hier - die Schlümpfe, Lucky Luke, und der Klassiker Tintin, auf Deutsch "Tim und Struppi". In Brüssel gibt es sogar einen eigenen Comics-Rundgang durch die Stadt.

Wie jeden Tag arbeitet Comic-Zeichner Philippe Geluck in seinem Studio im Süden von Brüssel. Es ist ein ruhiges, modernes Großraumbüro im Erdgeschoß, mit großen Fenstern, und nur durch Glaswände unterteilt. In einem der Glasabteile steht ein alter, wurmstichiger Zeichentisch. Hier zeichnet Philippe Geluck seine berühmteste Figur: "die Katze", oder auf französisch "Le Chat". Eine Katze, die aufrecht geht. Gekleidet mit Staubmantel, Hemd und Krawatte ist sie eigentlich ein Mensch mit Katzenkopf. Ihre großen schielenden Augen verschwinden halb hinter der großen Nase. In kurzen Bilderfolgen, manchmal auch nur in einem Bild, bringt der Autor seine Leser zum Schmunzeln:

"Die Katze ist für mich ein Werkzeug, um den Leuten etwas zu erzählen. Manchmal ist es sehr philosophisch, politisch und ernst, und manchmal ist es einfach nur verrückt. Für viele Menschen ist das Leben nicht sehr lustig. Mein Ziel ist es, die Leute zum Lachen zu bringen. Ich hoffe, dass sie schmunzeln können, wenn sie am Abend nach Hause kommen, und meine Zeichnungen in der Zeitung sehen."

"Le Chat" gibt es seit genau 25 Jahren. Sie erscheint regelmäßig in der belgischen Zeitung "Le Soir" und ziert auch die Wände der U-Bahnstationen in Brüssel. Die Ideen sind Philippe Geluck bis jetzt noch nicht ausgegangen: "Eine gute Zeichnung muss zuerst mich selbst zum Lachen bringen. Wenn ich die Katze zeichne und sie schaut mich um acht Uhr früh von meinem Zeichentisch aus an, dann ist es manchmal wie ein Wunder. Es ist, als ob sie etwas Komisches zu mir sagt. Ich schreibe es auf, und mein Cartoon ist fertig."

Beruf: Comic-Zeichner

Philippe Geluck ist einer von 700 hauptberuflichen Comic-Zeichnern in Belgien. Das ist mehr, als jedes andere Land im Vergleich zu seiner Größe aufweisen kann. Wenn man ihn nach den Gründen fragt, dann fällt ihm vor allem eine Person ein: Hergé, der Erfinder von "Tintin", auf Deutsch "Tim und Struppi".

"Tintin" war der erste belgische Comic mit durchschlagendem, weltweiten Erfolg - der erste Band ist 1929 erschienen. Erst dann tragen auch "Lucky Luke" und die "Schlümpfe" zum Ruf der belgischen Comic-Zeichner bei.

Tintin ist ein junger blonder Journalist, der gemeinsam mit seinem kleinen weißen Hund auf der ganzen Welt Abenteuer erlebt. Der Schöpfer von Tintin ist schon seit 25 Jahren tot. In seinem Haus im Stadtteil Ixelles, dort wo er früher tagein tagaus gearbeitet hat, befindet sich jetzt eine Stiftung. Seinen Schreibtisch hat man noch erhalten, dahinter hängen vier Porträts, die Andy Warhol in seinem typischen Pop-Art-Stil für ihn gemacht hat. Hier hat er alle seine Comic-Abenteuer erfunden, sagt Ayla Serbest, eine Mitarbeiterin der Hergé-Stiftung: "Hergé hat Belgien nie verlassen, um seine Bücher zu schreiben. Er hat sehr viele Bücher gelesen. So hat er alles herausgefunden über jene Länder, wo die Abenteuer von Tintin stattfinden."

Die Marke Tintin

Ayla Serbest erzählt, dass die Verkaufszahlen in den letzten Jahren zurückgegangen sind. Immerhin ist das letzte Comic-Buch von Hergé in den 1970er Jahren herausgekommen. Aber immer noch ist der Zuspruch beachtlich. Allein im Jahr 2006 hat der Verlag nur von den französischsprachigen Ausgaben 1,5 Millionen Stück verkauft. Nicht nur Bücher, auch Figuren aus Plastik und Kleidung mit Tintin-Motiven verkauft die Stiftung. Die Marke Tintin ist weltweit erfolgreich, die Bücher des kleinen Abenteurers wurden in über 70 Sprachen übersetzt:

"Tintin ist herumgereist, und das hat ihn wahrscheinlich auch für andere Länder interessant gemacht", so Serbest. "Viele Leute erzählen uns auch, dass sie gar nicht gewusst haben, dass Tintin aus Belgien kommt. Sie haben gedacht, dass er aus ihrem eigenen Land kommt. Und so ist er von vielen gar nicht als belgisch wahrgenommen worden, und war auf diese Art irgendwie international."

Außerhalb von Belgien ist Tintin vor allem in den Nachbarländern Holland und Frankreich, aber auch in Spanien, Deutschland, Japan und Kanada sehr beliebt.

Comic-Museum in Brüssel

Mittlerweile ist Tintin nur einer von vielen belgischen Comichelden - das zeigt sich im Brüsseler Comic-Museum. Nicht weit vom Grand Place ist ein ehemaliges Kaufhaus im Jugendstil zu einer Fundgrube für Comic-Fans aus aller Welt umfunktioniert worden. In einem Raum sieht man verfilmte belgische Comic-Serien. In einem anderen Raum sind 8.000 Seiten von Original-Zeichnungen ausgestellt. 260.000 Besucher hat das Museum jedes Jahr, so viele wie kein anderes Museum in Brüssel. Die Besucher kommen von überall her.

"In Amerika sind Comics ein großer Teil unserer Kultur, deswegen ist es interessant, wie es alles begonnen hat, nämlich hier in Belgien", sagt ein Besucher aus den USA. Dabei wurden die Comics in Amerika erfunden, und sind dann erst nach Belgien gekommen. Zuerst haben belgische Autoren nur amerikanische Serien kopiert. Und erst später ihren eigenen Stil gefunden.

Die besten Jahre sind vorbei

Heute sind es allerdings nicht mehr die belgischen Comics, die den Markt beherrschen. Die japanischen Comiczeichner haben mit ihren Mangas einen weltweiten Siegeszug angetreten. In Frankreich haben sie bereits einen Anteil von 40 Prozent, in Deutschland und Italien sogar einen Anteil von 80 Prozent. Das hat auch damit zu tun, dass Mangas schneller entstehen, als die Comics von traditionellen Comiczeichnern, sagt der Journalist Daniel Couvreur:

"In Belgien brauchen die Zeichner normalerweise ein Jahr, um einen Comic-Band fertig zu stellen. Und die meisten bekommen etwa 10.000 Euro dafür. Das ist nicht viel für ein Jahr Arbeit. Bei den Mangas funktioniert das anders. Die Zeichnungen sind einfacher, sie können schneller gemacht werden. Es gibt auch keine Farben bei den Mangas. Die japanischen Comics entstehen in kleinen Studios, schneller und billiger. Das ist im Moment das Problem."

Von einer Krise der belgischen Comics will in Brüssel trotzdem niemand sprechen. Man gesteht zwar ein, dass die besten Jahre vorbei sind, trotzdem: Zumindest in Belgien bleiben die Leser ihren Comics treu. Von allen Büchern, die im Jahr in Belgien herausgegeben werden, sind 60 Prozent Comics, weiß man im Comicmuseum. Und es gibt wohl kaum ein Land, in dem man in der U-Bahn erwachsene Menschen beim Comic-Lesen beobachten kann. Die Belgier haben einfach einen anderen Zugang zu ihren Comics, sagt Ayla Serbest von der Hergé Stiftung: "In Belgien und Frankreich werden die Comics als Kunst angesehen, nicht als etwas für Kinder, sondern als etwas Künstlerisches."

Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 29. März 2008, 17:05 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at