Karajans "schönstes Ziel des Lebens"
Hundert Jahre Karajan
Er gilt als der einflussreichste Dirigent des 20. Jahrhunderts: Herbert von Karajan kam am 5. April 1908 in Salzburg als Sohn eines musikbegeisterten Chirurgen zur Welt. Ö1 steht zum 100. Geburtstag ganz im Zeichen des 1989 verstorbenen Dirigenten.
27. April 2017, 15:40
"Über mich kann ich nicht schreiben, sondern nur erzählen." Diesen Satz hat Herbert von Karajan seinem Biografen Franz Endler vor zwanzig Jahren ins Mikrofon diktiert. Des Maestro Dilemma überträgt sich heute auf den Verfasser dieser Zeilen: Was kann man anno 2008 über Herbert von Karajan noch sagen, was nicht schon hundertmal erzählt und geschrieben wurde?
Anderen Laudatoren geht's nicht besser: "Grenzenloser Ehrgeiz war die Triebfeder, die Karajans Leben bestimmte, der Motor seiner Karriere", schreibt etwa Susanne Stähr im aktuellen "Magazin der Berliner Philharmoniker". Und: "Die Berliner Philharmoniker haben Karajan unendlich viel zu verdanken." Nasowas.
Erinnerungen altgedienter Orchestermusiker
Da ist es schon gewinnbringender, die Website des Philharmonia Orchestra London anzuklicken und den Erinnerungen altgedienter Orchestermusiker nachzuspüren: Perfekte Balance und Intonation hätten das Philharmonia Orchestra in den 1950er Jahren unter Karajan ausgezeichnet.
Lange Legato-Linien und kontrollierte Crescendi hat er den Musikern abverlangt - vom flüsternden Pianissimo zum donnernden Fortissimo. Karajans Dirigiertechnik, erinnerte sich der Konzertmeister, sei unkonventionell gewesen: sein Schlag luftig und endlos, viel Zeit für eine Phrase, für den Atem. Gleichzeitig war da ein Pulsschlag spürbar. Die Geigen würde er mit einer Seitenbewegung dirigieren - wo andere mit dem Stab zustechen, hat er die Luft gestreichelt.
1.300 Tonträger
Das alles sind "tempi passati" (sic!). Was bleibt, sind Bild- und Tondokumente. Und da hat der Maestro ja vorgesorgt: Rund 1.300 Tonträger listet das "Eliette und Herbert von Karajan Institut" auf. Dazu kommen Hörfunkaufnahmen, Opern- und Konzertmitschnitte aus Wien, Salzburg und Berlin. Ein paar dieser Kostbarkeiten sind - sozusagen als "Vorspann" zum Ö1 Karajan-Wochenende - in der ersten Aprilwoche in "Apropos Oper" zu hören: Live-Dokumente mit Maria Callas, Maria Cebotari, Giuseppe di Stefano, Giuseppe Taddei und noch vielen anderen, legendäre Opern-Studioaufnahmen aus Mailand und London.
Uraufführungs-Dirigent Karajan
Dass Herbert von Karajan nicht nur das Standardrepertoire der Klassik pflegte, sondern auch Uraufführungen von Henze und Penderecki, Einem und Wimberger dirigierte, ist am Vorabend des hundertsten Geburtstags in "Zeit-Ton" nachzuprüfen.
Die in den europäischen Funkhäusern vorrätigen Karajan-Tonträger umfassen neben Musik natürlich auch des Meisters Wort. So wie die folgenden Überlegungen über "das Positive" aus einem Interview 1957: "Warum wohl, hab ich mich gefragt, lieben die Menschen Symphoniekonzerte? Mit ganz wenigen Ausnahmen hört jede Symphonie in Dur auf. Es hört doch eigentlich immer auf mit einem Ausblick in die Zukunft, mit einem schönen, einem kraftvollen und einem harmonischen! Sehr viel im Prosatheater hingegen ist doch die Reportage des Schlechten, des Lasters, der Verwerflichkeit, des Elends ... und am Ende geht oft der Vorhang herunter, und es ist nicht die Spur eines Hoffnungsschimmers! Und das hat natürlich das Denken von vielen Menschen beeinflusst und sie veranlasst, immer die Negativseite zu sehen. Und dagegen möchte ich wirklich mit aller Kraft einen Kampf führen. Ich will immer zuerst sehen, was ist daran positiv, und wie kann ich das weiterbringen. Wenn man dann zu einer Kritik seiner selbst kommt und die Anderen berechtigte Kritik üben, dann nur, um einen zu einer noch besseren Leistung aufzustacheln (...) In den ersten schweren Jahren, wo ich ganz auf mich allein gestellt war, wo man nicht sah, wo's weitergeht, hab ich nie den Glauben daran verloren, und so verlier' ich ihn auch jetzt nicht. Wenn man mit diesem Positivismus an alles, was wir tun, herangeht, finden sich plötzlich von selbst die Dinge, es wird um uns harmonisch (...) mit unseren Mitarbeitern, und das ist für mich eigentlich das schönste Ziel des Lebens."
Philharmonische Zeitzeugen erzählen
Zwei Zeitzeugen aus dem Kreis der Wiener Philharmoniker erzählen im "Klassik-Treffpunkt" am Samstag, 5. April, also an Karajans hundertstem Geburtstag, "wie er denn so war", der gestrenge Maestro: Der Solo-Fagottist Dietmar Zeman trat seinen Dienst im Staatsopernorchester mit der Wiedereröffnung im November 1955 an, kann also über den Operndirektor Karajan Auskunft geben, genauso wie der langjährige Konzertmeister der Wiener Philharmoniker Werner Hink.
"Apropos Klassik" präsentiert am selben Tag Raritäten aus dem Salzburger Festspielarchiv. Und Michael Schrott moderiert am Samstag ein "Diagonal - Zum Thema": "Klassik-Kommerz. Karajan und die Folgen". Opernfreunde dürften ab 19:30 Uhr auf ihre Rechnung kommen: Da steht Beethovens "Fidelio" auf dem Programm in einer Aufnahme aus der Wiener Staatsoper vom Mai 1962 mit Jon Vickers, Christa Ludwig, Eberhard Wächter und Walter Berry. Und natürlich mit dem Jubilar am Dirigentenpult: Herbert von Karajan.
Die "Matinee am Sonntag" schließlich rekonstruiert Karajans erstes öffentliches Dirigat - mit dem Mozarteumorchester 1929.
Hör-Tipps
Apropos Oper, Dienstag, 1. April und Donnerstag, 3. April 2008, 15:06 Uhr
Zeit-Ton, Freitag, 4. April 2008, 23:05 Uhr
Österreich 1 Klassik-Treffpunkt, Samstag, 5. April 2008, 10:05 Uhr
Apropos Klassik, Samstag, 5. April 2008, 15:06 Uhr
Diagonal, Samstag, 5. April 2008, 17: 05 Uhr
Beethoven: "Fidelio", Samstag, 5. April 2008, 19:30 Uhr
Matinee am Sonntag, Sonntag, 6. April 2008, 11:03 Uhr
Gedanken, Sonntag, 6. April 2008, 13:10 Uhr
TV-Tipp
"Karajan oder Die Schönheit, wie ich sie sehe", Freitag, 4. April, 22:30 Uhr, ORF 2
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Links
Karajan 2008
Philharmonia Orchestra