Die Referenz-Einspielungen

Karajans Opern-Studioaufnahmen

Wo ist sie festgehalten, die Jahrhundert-Persönlichkeit Karajan? Doch hoffentlich in seinen Opernschallplatten, den Studioaufnahmen. Schon damals waren sie unter Opernfans oft wild umstritten - und durften trotzdem in keiner Sammlung fehlen.

Seidig, nervig der Orchesterklang, die Sänger getragen auf dem Silbertablett - sie werden dem Dirigenten noch Jahrzehnte später dafür dankbar sein. Keine Zufälle, alles hoch artifiziell und darin perfekt, der "Hochglanz" der Klangfinessen im Vordergrund, nicht das Eigenleben der Figuren: Dieses Bild vermitteln viele von Karajans Opern-Studioeinspielungen, mögen sie in seiner Zeit als künstlerischer Leiter der Wiener Staatsoper in den hiesigen Sophiensälen entstanden sein oder in der zum Plattenstudio umfunktionierten Berliner Philharmonie.

Und sie stehen damit in krassem Kontrast zu Live-Mitschnitten, wie sie aus dem Wiener Haus am Ring und von den Salzburger Festspielen in den letzten Jahren legal veröffentlicht wurden: Dort hört man den Dirigenten nicht selten mit einem wild drauflos musizierenden Orchester kämpfen und seine Solistinnen und Solisten aus diversen Bühnen-Missgeschicken erretten - auch darin war Karajan Meister, seit seinen Opern-Anfängen in Ulm und Aachen.

Mit Walter Legge in London und Mailand

Sobald Herbert von Karajan das auf höheren Wunsch ausgerufene "Wunder" Karajan war, der kommende Mann nach Wilhelm Furtwängler, "durfte" er ins Plattenstudio, zunächst in Berlin, etwas später auch in Turin. Von dort hat sich unter anderem eine Aufnahme von Rossinis "Semiramide"-Ouvertüre erhalten (Repertoire, das Karajan später kaum mehr gepflegt hat), die daran erinnert, dass Arturo Toscanini Karajans Jugendidol gewesen ist: kantig, aggressiv, furios, faszinierend.

Diesen Karajan erlebte dann auch Walter Legge, unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs für die britische Columbia auf Künstler-Einkaufs-Tour in Wien. Legge griff sofort zu und beeilte sich, ihn nach London, zum neu gegründeten Philharmonia Orchestra zu bringen. Hier begann die große Karriere des Platten-Dirigenten Karajan, mit tüfteligen Stereo-Ersteinspielungen von "Falstaff" bis "Rosenkavalier". Lieder-Fan Legge sorgte für sprachlich wie musikalisch sattelfeste Sängerbesetzungen, die Ergebnisse sind teils bis heute "Referenz". Sobald die Mailänder Scala zu einem der Standbeine des Operndirigenten Karajan geworden war, wurden auch dort Aufnahmen produziert, einige davon mit Maria Callas.

Das Orchester als Star

Verdis "Troubadour" mit der Callas aus den 1950er Jahren: ein Stimmen-Drama, dem sich das von Karajan angefeuerte Scala-Orchester unterordnet. Verdis "Troubadour" mit Franco Bonisolli aus der Berliner Philharmonie, späte 1970er: die Berliner Philharmoniker als Star, mit allen Farben und überdimensionalen Lautstärkeunterschieden in akustischem Cinemascope. Ungefähr so wie bei der Berliner "Otello"-Platteneinspielung, die mit einem markerschütternden Blitzschlag einsetzt und auch die Solisten in die Nuancen-Dramaturgie zwischen Flüstern und Ekstase einbindet.

Karajans Klangregie ist nun die große Kunst, "modern" im Ausschöpfen der Extreme. Manchmal gibt es unerwartete Resultate, so im von der Kritik als "kammermusikalisch" empfundenen "Ring des Nibelungen" bei der Deutschen Grammophon, bei dem die Musik maximal Muskeln spielen lässt, den Blechpanzer aber abgelegt hat. Kehrseite der Medaille: Die lyrischen Stimmen, die Karajan auch bei Wagner favorisierte, trieb selbst das mitunter noch in die Selbstbeschädigung - und danach ins Abseits.

Späte Jahre eines Autokraten

Wie geht man mit den noch klang-opulenteren Platten-Remakes des autokratisch gewordenen späten Herbert von Karajan um, die gleichen Opern wie früher, mit Solistinnen und Solisten, die ihre älteren Vorgänger nicht übertreffen? Glücksfälle wie die "Salome" mit Hildegard Behrens natürlich ausgenommen, die an Aufnahmen mit "Ewigkeits"-Wert wie die Freni-Pavarotti-"Boheme" anschließen.

Ein "Altersstil" von Karajan, wie es ihn im Konzertsaal gegeben hat, wo die Schönheit plötzlich voll Schmerzen war, wo die Klang-Oberfläche tiefe Risse bekam, ist im Plattenstudio bei den Opern selten zu spüren. Vielleicht noch im "Falstaff", mit den Wiener Philharmonikern und Giuseppe Taddei in der Titelrolle. Plötzlich nicht mehr so straff gehaltene Zügel, ein Nachgeben, ein Mit-Schmunzeln.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 3. April 2008, 15:06 Uhr

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