In (fast) eigener Sache

Der Feind meines Feindes ist mein Freund

Das Schöne am Online-Journalismus ist, dass eigene Texte vom Publikum direkt kommentiert werden können. Manchmal sind die Kommentare interessanter als die Texte selbst - wenn sie Fragen stellen, an die der Autor überhaupt nicht gedacht hat.

Das Schreiben über Süd-Osteuropa ist für jede Journalistin und jeden Journalisten, ob bewusst oder nicht, der Eintritt in einen geheimnisvollen Raum voller Türen, bei denen man nicht weiß, wohin sie führen. Die Verflechtung der gegenseitigen Beziehungen der dort lebenden Völker und ihre unheimlich stark geprägte kulturelle, soziale, politische und religiöse Verschiedenheit machen die Verhältnisse fast undurchschaubar.

Die Außensicht

Westliche Journalisten kämpfen mit den Sprachen und mit den unsicheren Quellen ihrer Informationen. Fast jeder Gesprächspartner, unabhängig davon zu welcher Gruppe er gehört, hat einen starken Drang, seinen und den der Volksgruppe eigenen Gesichtspunkt den neugierigen Fremden darzustellen. So etwas nennt man "unsere Wahrheit der Welt zeigen".

Belastet mit geschichtlichen Argumenten - und alle sind damit großzügig bewaffnet -, "bombardiert" man Journalistinnen und Journalisten mit allen möglichen Informationen, die das eigene Verhalten in einem bestimmten Moment rechtfertigen sollen. Es versteht sich von selbst, dass jede Gruppe ihre "eigene Wahrheit" hat, und die Regel lautet: Sie unterscheiden sich voneinander in fast jedem Punkt.

Die Innensicht
Die aus der Gegend kommenden Journalisten haben ein anderes Problem. Trotz ihrer Kenntnisse der "Szene" und ihrer Möglichkeit, die Interviewenden "zu durchschauen" sind sie, ihrer Herkunft wegen, immer verdächtigt, dass sie die Interessen ihrer angestammten Gruppe vertreten. Ihre nationale Zugehörigkeit ist, sehr oft zu Recht, verdächtig, trübt die Objektivität ihres Schreibens und weckt Besorgnis, dass sie doch "für ihre Wahrheit arbeiten".

Der Feind
Der Titelsatz "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" hat verschiedene Varianten. Eine der Möglichkeiten lautet: Der Freund meines Feindes ist mein Feind. Alles kann man machen, nur nicht, dass der Dritte, für mich so wie für meinen Feind, den gleichen Wert hat. Der Dritte muss sich entscheiden. Er ist entweder für mich oder gegen mich.

Der Vorteil des Online-Journalismus ist sein direkter Rückkanal. Als Autor antwortet man manchmal direkt auf den Kommentar und manchmal verzichtet man auf eine Reaktion. Kritik kommt fast immer von Seiten stets wacher Bürger, die so ihre patriotische Sicht der Öffentlichkeit mitteilen möchten - durchaus mit vollem Recht.

Vor einiger Zeit habe ich in oe1.ORF.at ein einem Text, über Albanien geschrieben.

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Der Text wurde von einer in der Schweiz beheimateten albanischen Website namens Alba-World wahrgenommen und hat einen Leser mit der merkwürdigen Bemerkungen auf den Plan gerufen, dass für ihn gleich klar gewesen sei, dass "der Autor gegen uns ist". Und dann kommt der Satz, der mich zum Schreiben in eigener Sache gedrängt hat: "ich mein der text wurde auch von nem slawen geschrieben, was will man davon halten...."

Der Slawe und die anderen
Dieser Satz hat Erinnerungen an eine für mich fast schon vergessene, früher sehr beliebte Einteilung in Volksgruppen beziehungsweise ihre Zugehörigkeit zu verschiedenen Stammesgruppen, geweckt. Der Kommentator, der sich selbst, nehme ich an, als "Illyrer" fühlt, hat mich als einen "Slawen" gleich durchgeschaut und diskriminiert. Was kann man von einem "Slawen" schon erwarten? Und das nur, weil ich in meinem Text über den durch lange Jahre verzögerten albanischen Beitritt zur NATO geschrieben habe, was er als eine "scheiß Meinung von unserem Beitritt", wer weiß aus welchem Grund, beurteilt hat.

Als man schon glauben konnte, dass wir die Stammesgeschichten hinter uns gelassen haben sollten, und dass sich in der EU die Germanen, Slawen, Romanen und nicht zuletzt Illyrer ein gemeinsames Haus schaffen würden, kann man wieder diese veralteten Differenzierung lesen. Leben die alten Geister noch immer?

Was wäre, dachte ich, wenn diesen Text ein "Kelte" oder ein "Germane" geschrieben hätte? Würde sich ein "Illyrer" dann auch bedroht fühlen? Wie erkennt man, dass jemand ein Slawe ist? Wie kann man das aus meinen Texten sehen? Vielleicht ist mein "germanisches Schreiben" doch von meinem "Slawentum" geprägt?

Die Antworten lasse ich in der Hoffnung, dass ein Kommentar noch keinen Frühling bedeutet, offen. Doch es ist klar, dass wir Journalisten, wenn wir über Süd-Osteuropa schreiben, auch solche Differenzen in den Blick nehmen müssen. Es geht nicht nur um Religionen, Nationen, Schriften und Sprachen, Kulturen und Zivilisationen, die sich dort vermischt und vernetzt haben. Man muss auch die verschiedenen urhistorischen Stämme und ihre noch immer lebendigen Wirkungen in Betracht ziehen. All den gemeinsamen Problemen zum Trotz haben die alten Geister der Teilung ihre Anziehungskraft noch nicht verloren.

Link
Alba-world - Albanien in der NATO