Arbeiten, immer und überall

Telearbeit revisited

Telearbeit galt als Lösung für Umweltprobleme, als Chance für Frauen und als treibende Kraft der Demokratisierung der Arbeitskultur. Heute spricht kaum noch jemand davon, doch in manchen Berufen ist es üblich geworden, immer und überall zu arbeiten.

Anfang der 1970er Jahre sprach der US-amerikanische Physiker und Ingenieur Jack Nilles bereits davon, dass die elektronischen Medien eine Fernarbeits-Bewegung auslösen würden. Nilles prägte die Begriffe telecommuting und telework und begann 1972 an der University of Southern California, darüber zu forschen.

In Zukunft sollten nicht die Menschen zur Arbeit pendeln, sondern die Arbeit zu den Menschen, war seine Vorstellung.

Verkehrsprobleme als Auslöser für Telearbeit

Zu einer Zeit, zu der die Vernetzung von schrankgroßen Rechnern im ARPANET gerade erst begonnen hatte, schien diese Idee reichlich utopisch. Sie wurde erst vorstellbarer, als Computer geschrumpft und Datenleitungen leistungsfähiger geworden waren.

In den USA gab dann der drohende Verkehrs- und Abgaskollaps den Ausschlag für die Einführung von Telearbeit. Weil der Clean Air Act Ende der 1980er Jahre den Firmen in einigen Bundesstaaten Maßnahmen zur Schadstoffreduktion vorschrieb, statteten diese ihre Mitarbeiter mit Computern und Modems aus und schickten sie nach Hause.

Viele Hoffnungen

Anfang der 1990er Jahre schwappte diese Idee schließlich auch nach Europa über. Telearbeit würde den Treibstoffverbrauch und den Schadstoffausstoß reduzieren, Arbeitsplätze für ländliche Gebiete schaffen, Fahrtzeit sparen, dadurch den Stress verringern und vor allem Frauen die Möglichkeit bieten, Beruf und Familie besser zu vereinbaren, lauteten die damit verbundenen Hoffnungen.

Firmen könnten außerdem Büroflächen verringern und damit eine Menge Kosten sparen, wenn Mitarbeiter, die nur ab und zu in der Firma sind, sich einen Schreibtisch teilen.

IBM startete 1994

Die erste Firma, die 1994 Telearbeit in Österreich einführte, war die Computerfirma IBM mit Sitz in Wien, und zwar auf Drängen der Support-Mitarbeiter, die den Wochenend- oder Nacht-Bereitschaftsdienst lieber von daheim aus erledigen wollten.

Die Einführung von Telearbeit brachte viele strukturelle Änderungen mit sich und erforderte den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitergeber und Arbeitnehmervertretung. Darin sind zum Beispiel die selbstbestimmte Arbeitszeit, die Ausstattung des Arbeitsplatzes oder die Freiwilligkeit der Telearbeit geregelt.

Etwa 1.300 von 1.700 Mitarbeitern von IBM Österreich sind heute Telearbeiter in unterschiedlichen Formen. Manche arbeiten nur einen Tag pro Woche daheim, manche kommen nur an einem Tag der Woche für Besprechungen in die Firma, manche arbeiten hauptsächlich unterwegs - beim Kunden, auf Dienstreisen und in anderen Niederlassungen.

Technisch ist das heutzutage keine Affäre mehr. In Zeiten, in denen Computer in eine Aktenmappe passen und Breitbandanschlüsse weit verbreitet sind, kann man von überall aus auf Firmendaten zugreifen. IBM hat natürlich auch den Vorteil, dass sie die Plattformen dafür selbst entwickelt.

Gefahr der Selbstausbeutung

Telearbeit wird von der Mehrheit der Mitarbeiter geschätzt, Betriebsratsvorsitzender Martin Rennhofer sieht aber auch Gefahren: Die meist hochqualifizierten und hochmotivierten Mitarbeiter würden oft zu viel arbeiten und zum Beispiel auch im Urlaub oder im Krankenstand ihre beruflichen E-Mails lesen. Der dadurch entstehenden Gefahr des Burnout müsse man unbedingt begegnen.

Eine weitere Gefahr ist, dass statt der erhofften besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie nur die Mehrfachbelastung steigt. Vor allem Frauen könnten sich oft nicht ausreichend von familiären Verpflichtungen abgrenzen, beobachtet Rennhofer. Konzentrierte Arbeit ist aber nur dann möglich, wenn man nicht dauernd von den Kindern zum Beispiel abgelenkt wird.

Es kam anders

In den 1990er Jahren habe man angenommen, dass allein schon die Verfügbarkeit der Telekommunikationsmittel die Arbeitswelt verändern würde, erinnert sich Jörg Flecker, Sozialforscher bei FORBA - der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt. Tatsächlich habe Telearbeit aber nicht unbedingt den Frauen, den wirtschaftlich benachteiligten ländlichen Räumen oder den weniger qualifizierten Arbeitskräften genützt, sondern den gut ausgebildeten Männern in den Ballungsräumen.

Heute betreibt diese Gruppe aber nicht mehr "Telearbeit" im Sinne eines Arbeitens am Computer daheim, sondern arbeitet mit Laptop, Handy und drahtloser Internet-Verbindung überall und (fast) immer.

Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 27. April 2008, 22:30 Uhr

Alle Sendungen zum Thema "Arbeit" der kommenden und vergangenen 35 Tage finden Sie in oe1.ORF.at.

Veranstaltungs-Tipp
Diskussion, "Und wovon leben Sie?", Montag, 28. April 2008, 18:00 Uhr, ORF KulturCafe

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Links
Jack Nilles
FORBA
WerkzeugH
Future of Work
Spiegel.de - Artikel über neuen Telearbeitstrend

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