Urheber- kontra Käuferschutz
Kulturraub im Internet
Immer wieder hört man von "Raubkopien", von "geistigem Diebstahl", von "Internet-Piraterie" und von ähnlichen Rechtsverletzungen im Netz der Netze. Die wahren Diebe dürften aber andere sein, wie sich aktuell herausstellt.
8. April 2017, 21:58
In den letzten Tagen ging eine Meldung durch die Medien, die, auf den ersten Blick harmlos, in Wahrheit einen handfesten Kulturskandal darstellt. Sie lautete etwa so: Microsoft schaltet die Lizenz-Server für den MSN-Download-Service ab.
Was hat das mit Kultur zu tun? - In den Zeiten des Internet ist es bekanntlich Mode, Kulturgüter mittels Download zu kaufen. Das funktioniert so: Man überweist den zu bezahlenden Betrag und erhält dafür ein digitales Datenpaket, das ein Musikstück, einen Roman, einen Film, ein Hörbuch oder dergleichen darstellt.
Für die Verkäufer birgt die Sache freilich eine Tücke: Digitale Daten lassen sich sehr leicht duplizieren und weitergeben. Bedeutet für den Download-Anbieter: Der Zweitempfänger des kulturellen Datenpaketes bezahlt nichts. Die Weiterverbreitung ist im privaten Rahmen übrigens rechtlich erlaubt, ließ ich mir sagen, die heimischen Gesetze gestatten die Herstellung von Privatkopien zu nichtgewerblichen Zwecken, solange man sie also nicht seinerseits verkauft.
Ich vermute allerdings stark, dass sich die Umsatzverluste für die Verleger, Musikunternehmen, Filmproduzenten in engen Grenzen halten. Für einen durchschnittlich verdienenden Mitteleuropäer stellen die Beträge, die er monatlich für Bücher oder CDs ausgibt, ja faktisch keinen Posten dar. Er tut sich das Herumgeschiebe und Herumgetausche per Internet kaum an. Menschen mit wenig Geld wiederum kaufen keine Downloads, eben weil sie kein Geld haben. Sie nehmen sie nur, solange sie gratis sind. Somit würden ohne Gratis-Kopien auch keine höheren Umsätze generiert.
Mit ihrem MSN-Download-Dienst ist die Firma Microsoft einer der großen Anbieter am Markt. Und sie entwickelte eine Methode, die Weitergabe ihrer Kulturdateien zu unterbinden: Diese werden so codiert, dass sie nur auf jenem Computer funktionieren, über den sie ursprünglich bezogen wurden.
Das heißt "DRM", was für "Digital Rights Management" steht. Dadurch entsteht freilich wieder ein Problem: Computer werden, wie alles Irdische, kaputt. Oder sie sind alt, man kauft sich ein neues Gerät. Dann kann auch der ursprüngliche Käufer seinen DRM-Download auf seinem neuen Computer nicht mehr genießen. Oder es ist nur die Festplatte voll, man benötigt eine größere. Auch das wird vom DRM-System nicht akzeptiert. Die gekauften Lieder, Bücher oder Filme funktionieren sogar auf demselben Computer nicht, wenn bloß die Festplatte ausgetauscht wird. Offenbar kann man Downloads auch nicht verschenken wie reguläre Bücher oder Tonträger. Allen Statistiken nach werden ja bedeutend mehr Bücher und CDs verschenkt als selbst gelesen oder gehört, vorzugsweise zu Weihnachten. Das alles wird durch DRM verhindert. Klar scheint, dass unter solchen Umständen kein Mensch überhaupt Downloads kaufen würde. Die wären ja faktisch Wegwerf-Produkte.
Dem wiederum begegnen die Anbieter, indem sie auf Wunsch des Kunden die DRM-codierten Kulturdaten umcodieren. Sie funktionieren dann auf dem anderen, etwa dem neu gekauften Computer, oder auf dem des Beschenkten. Auf dem ursprünglichen dafür nicht mehr. Das wiederum erledigen "Lizenz-Server" über das Internet.
Als Manager eines Download-Dienstes hätte ich mich längst gefragt, ob sich der ganze Verschlüsselungs- und Umverschlüsselungsaufwand wegen ein paar unbezahlter Kopien überhaupt lohnt. Das DRM-System kostet ja etwas, es ist nicht einmal billig. Die ganze digitale Besitzstandssicherung macht Downloads auch für Käufer nicht gerade attraktiv. Persönlich habe ich von dergleichen ohnehin Abstand genommen. Doch Microsoft, der nie zur Ruhe kommenden menschlichen Gier sei's gedankt, hat sich eben für DRM und Lizenz-Server entschieden. Und im Prinzip ist das natürlich ihr Recht.
Damit komme ich aber zum Kulturskandal, von dem ich rede, denn nun wird klar, was die unscheinbare Meldung bedeutet: Microsoft werde diese Lizenz-Server ersatzlos abschalten. - Alle beim MSN-Dienst gekauften Filme, Bücher, Musikstücke werden faktisch unbrauchbar. Sobald der ursprüngliche Computer seinen Geist aufgibt - oder nur die Festplatte getauscht werden muss -, büßt der Downloader seine gesamte, immerhin käuflich erworbene Sammlung von Kulturgütern ein. Insgesamt, weltweit beträgt die Zahl der so verlorenen gehenden, rechtmäßig erworbenen Musiktitel, Filme und Bücher Hunderte von Millionen, wie zu vernehmen ist.
Im Zusammenhang mit dem Internet ist ja immer wieder von "Raubkopien" die Rede - eine gewagte Wortwahl, da Raub definitionsgemäß die Anwendung von Gewalt vorsieht. Bei Raubkopien ist indes, soweit mir bekannt, keinerlei Gewalt im Spiel. Aber soll sein, Sprache ist biegsam und Wortbildungen folgen nicht immer der Logik. Mit einigem Recht kann man in diesem Sinn aber sagen: Die Abschaltung der Lizenz-Server des MSN-Download-Services ist bei weitem der größte Kulturraub in der Geschichte der Menschheit.
Mehr dazu in futurezone.ORF.at
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