Tito und seine ehemaligen Anhänger
Der wunderschöne Monat Mai
Der Monat Mai ist für die Bürger des ehemaligen Jugoslawien ein Monat, in dem sie sich, alle auf ihre Art und Weise, mit der eigenen Geschichte äußerst intensiv beschäftigen. Was nur fehlt, ist ihre ehrliche und ideologiefreie Darstellung.
8. April 2017, 21:58
Der Mai wurde im sozialistischen Jugoslawien als Monat der Jugend gefeiert, denn im Mai wurde der "beliebteste Sohn aller brüderlichen Völker Jugoslawiens", Marschall Josip Broz Tito, im Jahr 1892 geboren.
Über das genaue Geburtsdatum herrschten Unklarheiten, die man mit verschiedensten Legenden zu erklären versuchte. Offiziell wurde er am 7. Mai geboren, aber man feierte den 25. des Monats als seinen Geburtstag weil, so eine Erzählung, am 25. Mai 1944 die Deutschen einen missglücklichen Angriff auf die Stadt Drvar in Bosnien-Herzegowina, wo sich in dieser Zeit Titos Stab befunden hatte, versucht hatten. Tito entkam und als Erinnerung an diesen Tag nahm er sich den 25. Mai als seinen Geburtstag frei.
Jeden Mai liefen Tausende Jugoslawen um und durch ganz Jugoslawien mit einer Stafette, die sie am 25. Mai ihrem lebenslangen Präsidenten in einem großen Fußballstadion in Belgrad überreichten. In diesen Tagen wurde auch der wichtigste Preis den jungen Kunst- und anderen Schaffenden vergeben. Der Preis hieß "Sieben Sekretäre der SKOJ", benannt nach den im Zweiten Krieg gefallenen Führern der Organisation der kommunistischen Jugend.
Der Tod im Mai
Tito starb, Zufall oder nicht, auch im Mai; am 4. des Monats im Jahr 1980. Nach seinem Tod lebte die traditionale Stafette weiter und diente als Symbol der Einheit der jugoslawischen Völker - bis zum gewalttätigen und blutigen Zerfall des Staates. Sein "Lebenswerk" zersplitterte in kleine Nachfolgerstaaten.
Die ehemaligen titotreuen Kommunisten und Internationalisten entpuppten sich als hartnäckige Nationalisten. Die ehemals stolzen Preisträger der Sieben Sekretäre radieren jetzt den Preis aus ihren Biografien aus. Es ist nicht mehr opportun etwas mit dem Kommunismus zu tun zu haben.
Obwohl der Mai mittlerweile ein ganz normaler Frühlingsmonat geworden ist, vergessen einige Tausende Ex-Jugoslawen ihren Tito nicht. Der Mai ist ein Monat, in dem sie sich an die Wohltaten des Marschalls erinnern. Sie besuchen seinen Heimatort Kumrovec in der nähe von Zagreb und sein Grab, das sich noch immer im Garten der ehemaligen Residenz befindet. Man gedenkt seines Todestags, seiner beiden Geburtstage und seines Jugoslawien. Die Beteiligten kommen mit alten Insignien und singen Revolutionärslieder und die Internationale, rezitieren die Revolutionsdichter und loben die Einheit und Brüderlichkeit der ehemaligen Zeiten. In Mazedonien findet sogar ein Staffellauf statt.
Pro und Contra
Der Mai ist so ein Monat der starken Auseinandersetzungen zwischen Titos Anhängern, die nur Gutes in seiner Politik sehen möchten und den Gegnern, die an eine schreckliche kommunistische Diktatur unter seiner Herrschaft erinnern. Beide Seiten versuchen, die Untaten der anderen Seite in möglichst grellen Farben zu malen. Man gräbt Opfer der Geschichte aus, die von der anderen Seite hingemetzelt wurden. Für die eigenen, ähnlichen Gewalttaten findet man Rechtfertigungen und betreibt Schuldaufrechnung.
Geschichte ist eine Geschichte der herrschenden Ideologie. Vergangenheitsbewältigung findet so nie statt. Die seit 1974 in Deutschland lebende, kroatische Philosophin Dunja Melcic schrieb in ihrem Text "Der Diskurs über die Vergangenheit in Kroatien":
Wenn Generationen mit Halbwahrheiten und Verdrehungen von Zusammenhängen aufwachsen, bleibt die Frage, wie sich dann ein moderner Zugang zu Geschichte und Vergangenheit aufbauen lässt. Die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichtsklitterung kann anscheinend ihrerseits oft nur schwer einer Politisierung entgehen.
Der Text von Dunja Melcic bearbeitet die Lage in Kroatien, aber ihre Folgerungen kann man ohne weiters auf die ganze Region übertragen. Die Art und Weise der Konfrontation mit der eigenen Geschichte, die sie dargestellt hat, beanspruchen universale Gültigkeit. Das Wort "Kroatien" mag hier als Platzhalter für die anderen ehemaligen Republiken, die jetzt unabhängige Staaten sind, fungieren:
Der Prozess des Umgangs mit der Vergangenheit könnte in Kroatien allerdings noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Zunächst allgemein deshalb, weil die Gesellschaft noch stark polarisiert und daher entfernt davon ist, einen nichtkontroversen Sektor (Ernst Fraenkel) zu akzeptieren.
Buch-Tipp
"Phantom der Freiheit", Verlag Durieux, Zagreb, ISSN 1334-3327