Kultur übergreifend und verbindend
Interkulturelle Gärten
Interkulturelle Gärten sind neuartige Sozialräume, in denen Migrantinnen und Migranten gemeinsam mit den Bewohnern der Gastländer Obst und Gemüse anbauen. Die vielfältigen Aktivitäten helfen den Menschen eine neue soziale Identität zu finden.
8. April 2017, 21:58
Die Erde bewirtschaften, hochwertige Lebensmittel ernten und sich dabei mit anderen Menschen austauschen, das gehörte für viele Migrantinnen und Migranten, die heute in Österreich leben, in ihrer Heimat zum Alltag.
Um den Zugewanderten das Wurzeln schlagen in der Fremde zu erleichtern, werden in Deutschland schon seit Mitte der 1990er Jahre so genannte Interkulturelle Gärten aufgebaut und bewirtschaftet. Mehrere Initiativen in Österreich folgen nun diesem Modell.
Fokus auf den Kompetenzen
In Göttingen entstand der erste interkulturelle Garten Deutschlands, im Jahr 1995, zur Zeit des Bosnienkrieges. Bosnische Frauen hatten gemeinsam mit einer Sozialarbeiterin die Initiative ergriffen, weil sie als Flüchtlinge zum Nichtstun gezwungen waren, ihre Tage mit Warten verbrachten und ihre Gärten sehr vermissten.
Da Flüchtlinge und Migranten meist nicht über ihre Kompetenzen wahrgenommen werden, sondern über ihre Bedürftigkeit, war die Möglichkeit, Erfahrung und Wissen in diesem Gartenprojekt einzubringen für sie besonders interessant, sagt die Münchner Soziologin Christa Müller: "Hier konnten sie sich als fähig und kompetent wahrnehmen und präsentieren, und damit auch ihre Rolle neu definieren."
Gärten sind gut für die Seele
Christa Müller ist Geschäftsführerin der Stiftung Interkultur in München, der bundesweiten Koordinierungsstelle des Netzwerks Interkulturelle Gärten in Deutschland. Derzeit gibt es in Deutschland 75 solche Gärten und rund 45 Initiativen, die im Aufbau begriffen sind. In ihrem Buch "Wurzeln schlagen in der Fremde" zitiert sie die aus Bagdad stammende Najeha Abid, die in den "Internationalen Gärten" in Göttingen aktiv ist.
Wenn ich im Sommer abends nach Hause komme, dann bin ich oft kaputt. Dann koche ich meinen Tee und gehe in den Garten. Manchmal sitze ich nur da und schaue mir die Pflanzen an. Manchmal weine ich. Manchmal singe ich. Der Garten ist nicht nur für Gemüse und Kräuter. Er ist auch gut für unsere Seele. Nur wenn man bekannt ist, und wenn man etwas tun kann, dann fühlt man sich als Mensch. Und das ist im Garten möglich.
Gastlichkeit wird möglich
Wenn Migrantinnen und Migranten ihr eigenes Gemüse anbauen, haben sie die Möglichkeit, andere am Ertrag teilhaben zu lassen, gastlich zu sein, und auch ihr Wissen einzubringen, das sie vielleicht aus der Heimat mitgebracht haben. Kommunikation entsteht wie von selbst, die Fähigkeiten der einzelnen Mitglieder werden wertgeschätzt, wie Najeha Abid erzählt.
Wenn eine was gebacken hat, bringt sie es mit, die andere Tee, die andere Kaffee, selbst gemachte Säfte. Wir tauschen die Rezepte aus. Bei Festen kochen alle ihre eigenen Spezialitäten, alle bringen ihre eigene Musik mit. Wir zeigen uns gegenseitig unsere Tänze, aber auch Samen, Pflanzen, Kräuter und Früchte. Gerade auch von den Bosnierinnen haben wir viel gesehen. Sie haben uns viel gezeigt im Garten, z.B. beim Umgraben, oder wie tief man Bohnen pflanzt.
Interkulturalität als Prinzip
Interkulturelle Gärten sollen die Vielfalt der Gesellschaft abbilden, daher wird großer Wert darauf gelegt, dass möglichst viele verschiedene Nationalitäten in einem Garten vertreten sind. Die 75 Gärten in Deutschland sind zwischen 20 und 60 Parzellen groß. Mindestens 1500 Personen betreuen also eine Parzelle und bringen auch ihre Familienmitglieder mit in den Garten. Insgesamt nimmt die Stiftung Interkultur daher an, dass derzeit rund 5.000 Menschen in den Interkulturellen Gärten tätig sind, rund zehn Prozent davon sind Deutsche.
Neben der Gartenarbeit finden in einigen Gärten auch andere Aktivitäten statt. Sprachkurse und Computerkurse zum Beispiel sind in so einer Gemeinschaft sehr erfolgreich, erklärt Christa Müller. Es herrsche eine gute Lernatmosphäre, weil es viel verbindendes in den Gärten gäbe.
Projekte in Österreich starten
In Österreich arbeiten mehrere Gruppen in verschiedenen Bundesländern am Aufbau von Gartenprojekten. In Wien wurde der Verein Gartenpolylog gegründet, der alle Aktivitäten vernetzen und zum Aufbau weiterer Interkultureller Gärten beitragen möchte.
Im März dieses Jahres fand die erste Netzwerktagung in Wien statt, bei der sich Initiativen aus ganz Österreich vorstellten. Seit kurzem gibt es im 16. Bezirk den "Nachbarschaftsgarten Heigerlein", der vom Verein Gartenpolylog begleitet und mitaufgebaut wird. "Ein Ziel von uns ist es, in jedem Wiener Bezirk so einen Gemeinschaftsgarten ins Leben zu rufen" sagt Yara Coca Dominguez, und sie ist zuversichtlich: "Der Direktor der Wiener Gärten, Herr Ing. Weisgram unterstützt diese Projekte mit voller Überzeugung, das ist sehr wertvoll."
Hör-Tipp
Dimensionen, Freitag, 9. Mai 2008, 19:05 Uhr
Links
gartenpolylog.org
Stiftung Interkultur
Wurzeln schlagen in der Fremde