An den Schreinen bedeutender Heiliger
Die ekstatischen Gesänge der Sufis
Lieder und Rhythmen, die zur Ekstase führen, bilden ein wesentliches Element vieler Sufi-Orden auf dem indischen Subkontinent - in Pakistan wie in Indien. An den Schreinen bedeutender Sufi-Heiliger werden allabendlich ekstatische Gesänge aufgeführt.
8. April 2017, 21:58
"Oh mein Meister, du bist meine Ehre"
In Ajmer im westindischen Bundesstaat Rajasthan befindet sich der bedeutendste Sufi-Schrein von Indien - die Dargah des Heiligen Khwaja Moinuddin Chishti. Wie bei anderen bedeutenden Schreinen der Sufis, der islamischen Mystiker, wird auch hier nach dem Abendgebet regelmäßig Musik aufgeführt. Dabei handelt es sich um die so genannten Qawwalis, Lieder, die auf mystischen Gedichten beruhen.
Für den Sufi sind Qawwalis eine Form der Gottesverehrung und der spirituellen Praxis. Charakteristisch für viele Qawwalis sind die aufpeitschenden Rhythmen. Sie sollen die Menschen in Ekstase versetzen und zu Gott hinführen, sagt Mohammed Ishaque vom Institut für Islamwissenschaften an der Jamia Millia-Universität in Neu Delhi: "In der Sufi-Musik vergisst sich der Mensch selbst. Er versenkt sich in das Gedenken an seinen Herrn. Die Musik fördert das Selbstvergessen und die Hingabe an Allah."
Musik und Poesie
Der Sufismus, die islamische Mystik, entstand schon bald nach dem Islam. Im Lauf der Zeit haben sich viele verschiedene Sufi-Orden herausgebildet. Für den in Südasien weit verbreiteten Chishthi-Orden spielen Musik und Poesie eine bedeutende Rolle.
Historisch hat die Musik der Sufis aber immer wieder Anstoß zu heftigen Debatten gegeben. Strenge Islamgelehrte lehnten Musik und Tanz im religiösen Kontext gänzlich ab, manche Sufi-Orden machten sich Gedanken darüber, welche Musik den Menschen von Gott wegführe und welche ihn zu Gott hinführe.
Die Rolle des Sufismus
Im südasiatischen Raum spielt der Sufismus seit knapp tausend Jahren eine große Rolle. Dabei sind die Historiker unterschiedlicher Meinung über die Verbreitung des Islam in Südasien. Die einen betonen die Eroberungszüge von Muslimen seit dem 8. Jahrhundert, die anderen sehen in den Lehren des Sufismus den Grund für freiwillige Konversionen, denn die Sufis lehnten Diskriminierung aufgrund von Kaste oder Stand ab. Ob Reiche oder Arme, Freie oder Sklaven, alle galten ihnen gleichermaßen als Menschen.
Die Sufi-Schreine spielen bis heute eine wichtige Rolle in Südasien. Zum Grabmal von Moinuddin Chishthi in Ajmer kommen jedes Jahr Hunderttausende Pilger. Anlässlich seines Staatsbesuchs in Indien im April 2005 stattete auch der pakistanische Staatschef Perwez Musharraf Ajmer einen Besuch ab und betete im Schrein für Frieden zwischen den verfeindeten Nachbarn. Dass Politiker zu Sufi-Schreinen gehen, ist nichts Ungewöhnliches. Auch die Ende vorigen Jahres ermordete frühere Premierministerin Benazir Bhutto hat immer wieder Heilige aufgesucht.
Rock’n'Roll und Qawwali
Mit seiner Botschaft des Friedens und der Menschlichkeit spricht der Sufismus auch zeitgenössische Musiker wie Salman Ahmed an, den Gründer der pakistanischen Rockband Junoon. Er war beeindruckt von jenen westlichen Musikern, die während des Vietnamkriegs "Gebt dem Frieden eine Chance" sangen, und er zieht Parallelen zur Sufi-Musik: "Die Qawwalis sind ebenfalls geprägt von einem Geist der Rebellion; diese Musik plädiert für Frieden und für das friedliche Zusammenleben der Kulturen und Religionen. Indem ich die Kraft von Rock’n'Roll und Qawwali verband, konnte ich ein Band zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart herstellen."
Hör-Tipps
Radiokolleg - Ekstatische Gesänge, Dienstag, 13. Mai bis Donnerstag, 18. Mai, jeweils 9:45 Uhr
Buch-Tipps
Jürgen Wasim Frembgen, "Reise zu Gott", Beck
Peter Pannke und Horst Friederichs, "Troubadoure Allahs", Frederking und Thaler