Im Juni wird 100. Geburtstag gefeiert

Das Waldhaus in Sils Maria

"Das Waldhaus ist ein passender Ort für innere Reisen. Alle möglichen Energieströme treffen hier aufeinander", schrieb der Journalist Jacques Pilet über eines der traditionsreichsten Hotels im Oberengadin, das im Juni seinen 100. Geburtstag feiert.

Claude Chabrol hat seinen Film "Rien ne va plus" hier gedreht, Donna Leon erholte sich von anstrengenden Lese-Touren, Thomas Mann hat in den 1950er Jahren hier gern seine Sommerferien verbracht und Hermann Hesse kam sogar insgesamt auf mehr als 365 Tage im Waldhaus - was nichts ist gegen einen österreichischen Diplomaten, der sich im Laufe der Zeit insgesamt über 2.000 Tage in dem Engadiner Grandhotel einmietete.

Inzwischen ist das Grandhotel der besonderen Art in die Jahre gekommen. Es hat den gleichen Jahrgang wie das erste "Model T" von Henry Ford. Im Gegensatz zur Ford Motor Company hat das Grandhotel Waldhaus in Sils Maria aber ziemlich genau seine ursprünglichen Dimensionen bewahrt.

Steingewordener Traum

Am 15. Juni 1908, also genau vor 100 Jahren, wurde es nach zweieinhalbjähriger Bauzeit von Josef Giger eröffnet. Damit erfüllte sich der Hotelier, der jahrelang in fremden Betrieben als Direktor gearbeitet hatte, seinen Lebenswunsch: Er baute sich in den Schweizer Bergen, an der Straße ins Fextal, die heute nur von Einheimischen und Pferdeschlitten- bzw. -kutschen befahren werden darf, ein burgartiges Hotel. Auf einem Hügel etwa fünfzig Meter über dem Engadiner Hochtal ragt es - von überall her weit sichtbar - aus dem Wald.

Nur die Steine kamen aus dem nahen Wald, alles Übrige wurde im Pferdezug vom Bahnhof Sankt Moritz herbeigeschafft. Es ist ein Monument, dieses Grandhotel, das nie den Besitzer gewechselt hat und heute immer noch als Familienbetrieb geführt wird, heute von der Familie Dietrich-Kienberger. Und so wird in diesem Haus mit Tradition nach wie vor komfortable Behaglichkeit sehr viel wichtiger genommen als Prunk und Eleganz.

Individualität und Stil

Aus den unterschiedlichsten Epochen stammen die rund 150 Zimmer. Kürzlich wurden sogar einige mit der Originalausstattung aus dem Jahr 1908 wiederhergestellt, andere sind mit Mobiliar aus den 1950er Jahren ausgestattet. Einige geben sich ganz modern, allerdings wird man kaum mehr als drei gleich eingerichtete Zimmer im ganzen Haus finden. Hier zieht man Individualität der Konformität in der Raumgestaltung vor.

Wenn man Glück hat, findet man sich in einem jener Räume wieder, in denen Thomas Mann, Friedrich Dürrenmatt, Theodor Adorno, Marc Chagall, C. G. Jung, Albert Einstein oder Hermann Hesse gewohnt haben.

Viele Details erhalten

Es sind die vielen Details, die verzaubern: die alte Sonnerie in den Etagen, mit Hilfe derer einst die Zimmermädchen in Erfahrung bringen konnten, welcher Gast etwas brauchte. Oder die Schiefertafel im winzigen Direktionszimmer, auf der immer noch mit Kreide die Arrivées, die Ankünfte, verzeichnet werden.

In den langen Korridoren und im Marmorstiegenhaus schreitet man auf dicken Teppichen, die jedes störende Geräusch schlucken. Die Möbel erzählen von den unterschiedlichen Stilepochen: da ein Jugendstilbücherschrank, dort ein Art-Deco-Luster, eine Empire-Sitzgruppe.

Gedächtnis des Alltags

Urs Kienberger, Felix und Maria Dietrich, die heutigen Besitzer, haben im Keller des Hotels auch ein kleines Museum eingerichtet, mit Gegenständen des Hotel-Alltags früherer Zeiten. Rechtzeitig zum 100. Geburtstag wird der Schweizer Künstler Guiseppe Reichmuth diese Erinnerungsstücke aus der 100-jährigen Geschichte in einer bemerkenswerten Installation präsentieren.

Zudem existiert eine Sammlung von Briefen, Fotos und Schriften von Zeitzeugen. Im blauen Salon steht ein Welte-Mignon-Klavier, das Josef Giger zwei Jahre nach Eröffnung des Hauses erwarb. Allerdings funktionierte das Wiedergabe-Klavier schon gegen 1930 nicht mehr und überdauerte die Zeit in einem Abstellraum. Der Haustechniker des Hotels konnte es schließlich in langwieriger Geduldsarbeit wieder instand setzen.

In der großen Halle trifft man sich trotz modernisierter Zimmer mit Minibar und Fernseher zum Nachmittagstee und nach dem Abendessen zum Digéstiv, wenn das Trio Farkas seine schon legendäre Salonmusik zum Besten gibt. Im Gegensatz zum höchst geschäftigen St. Moritz, in dem die Hauptbeschäftigung der Gäste Sehen und Gesehen-werden zu sein scheint, genießt man hier elegante Zurückhaltung in familiärer Umgebung.

Zahlreiche Veranstaltungen

Ein feines Kulturprogramm belebt die Abende in der Waldhaus-Bar: Die Lesungen, Konzerte und Kabarettveranstaltungen werden auch gern von den Bewohnern von Sils Maria besucht; zu den Hesse-Tagen im Juni und zum alljährlichen Nietzsche-Kolloquium im September reisen Philosophen aus der ganzen Welt an. Dann ist das Waldhaus, ganz wie es sich die Familie Kienberger-Dietrich wünscht, "in erster Linie ein Ort der Begegnung für die verschiedensten Menschen mit all ihren Sorgen, Spannungen und Hoffnungen."

Hör-Tipp
Ambiente, Sonntag, 8. Juni 2008, 10:06 Uhr

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Waldhaus Sils