Eine Brücke für den Wienerberg

Wien will Calatrava

Trotz lautstarker Kritik der Opposition und zahlreicher Achitekturexperten hat der Wiener Gemeinderat am Mittwoch mehrheitlich beschlossen, den spanischen Stararchitekten Santiago Calatrava per Direktvergabe mit einem Brückenbau für Wien zu beauftragen.

Ein Calatrava soll es sein. Ohne Wettbewerb soll der spanische Stararchitekt Santiago Calatrava mit einem Brückenbau über die Triester Straße beauftragt werden. Das hat am Mittwoch der Wiener Gemeinderat beschlossen. Es sei wichtig, dass Wien einen Calatrava bekomme, hatte Planungsstadtrat Rudolf Schicker (SPÖ) festgehalten.

Brücken in aller Welt

Prestigeträchtig sind die Brückenbauten des vielbeschäftigten Architekten jedenfalls. In Barcelona, in Buenos Aires, in Bilbao und in seiner Heimatstadt Valencia hat er sie gebaut, gleich drei stellte er im Oktober in der Nähe von Bologna fertig. In Venedig errichtete er im vergangenen Sommer den vierten Übergang über den Canal Grande. Derzeit hält sich Calatrava in Jerusalem auf, wo seine neueste Brücke am Rande der Altstadt eingeweiht wird.

Umstrittene Persönlichkeit

Eigentlich hatte der 1951 in Valencia geborene Architekt Kunst studieren wollen - und auch zahllose Bahnhöfe, Konzertsäle und Wolkenkratzer später ist seine Rolle zwischen Kunst und Architektur nicht unumstritten. Ausstellungen in Galerien und Kunstmuseen statt in kühlen Architekturschauen kennzeichnen seine Laufbahn - auch in Wien. Statt im Architekturzentrum (Az W) zeigte er seine Modelle 2003 im Wiener Kunsthistorischen Museum, dessen Direktor Wilfried Seipel von seinen Arbeiten begeistert war. Im Az W konstatierte man ein "inhaltliches Problem". Unter Architekten und Bauingenieuren habe Calatrava etwa den Ruf eines Hundertwassers in der bildenden Kunst, sagte Az W-Leiter Dietmar Steiner damals zur APA. Man wolle keine Personality-Show.

Eine Brücke ist eine Brücke

Als "künstlerisches Projekt" anstelle eines öffentlichen Gebäudes hatte auch Schicker die Arbeit des Architekten eingestuft - und nicht zuletzt damit die direkte Vergabe gerechtfertigt. Bei Opposition und Architektenkammer war er damit auf massive Kritik gestoßen. Architektur sei immer auch Baukunst, hatte Andreas Gobiet, Kammer-Chef für Wien, Niederösterreich und das Burgenland, angemerkt.

"Eine kleine Brücke in Wien - das ist wie ein kleines Menuett", schwärmte Calatrava. Auch als er seine Brücke in Bilbao vor der Erweiterung durch einen anderen schützen wollte, argumentierte der Architekt mit dem Kunstcharakter seines Werks - das spanische Gericht wies seine Klage allerdings im November zurück. Eine Brücke sei zuerst einmal eine Brücke, so die Begründung.

Enges EU-Vergaberecht

Das EU-Vergaberecht lässt tatsächlich nur wenig Spielraum zu. Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht aus künstlerischen Gründen sind nur möglich, wenn der Staat etwa ein Kunstwerk eines bestimmen Künstlers kaufen will, oder etwa bei einem Zubau zu einem Gebäude, wenn der ursprüngliche Architekt noch ein Mitspracherecht hat. Bei einem Architektenentwurf ist das nach Ansicht von Experten nicht möglich, weil nicht von vornherein klar sei, dass etwa ein Stararchitekt auch die beste Idee habe.

Kabarett gegen Kantönligeist

In der Gemeinderatsdebatte am Mittwoch übten FPÖ und Grüne Kritik. "Wenn Calatrava interessiert ist, in Wien zu bauen und sich ein Denkmal zu setzen, dann ist es nur gerechtfertigt, dass er sich einem Wettbewerb stellt", so FP-Gemeinderätin Henriette Frank. Die Grünen kritisierten das Abgehen vom Wettbewerbsleitfaden der Stadt, das für andere Architekten einen Präzedenzfall schaffen könnte. Die Brücke sei primär ein Verkehrsbauwerk, und kein Kunstwerk. Das von der Stadt vorgelegte Gutachten dazu bezeichnete Planungssprecherin Sabine Gretner als "kabarettreif".

SP-Gemeinderat Harald Troch sprach im Gegenzug von "blau-grünem Kantönligeist". Er verwies darauf, dass Calatrava in Venedig eine Brücke über Canale Grande baue, und zwar ebenfalls ohne Wettbewerb. Den Gegnern attestierte er Kleinkariertheit. "Wir und die Wiener Architektur brauchen Mut", so Troch. Er danke Schicker dafür, dass er diesen gezeigt habe.

Mehr als nur Brücken

Neben Brücken stand Calatrava, der Büros in Valencia, Zürich, Paris und New York unterhält, auch mit zahlreichen weitere Bauwerken immer wieder in der Öffentlichkeit. Der Telefonturm in Barcelona, der in sich gedrehte Wohnhaus-Wolkenkratzer im schwedischen Malmö oder das Opernhaus in Teneriffa sind nur einige davon. Bahnhöfe baute er schon in Luzern, Zürich, Valencia oder Lyon. Seine Handschrift, die nun auch über Wien hinwegziehen soll, dehnt sich von europäischen immer mehr auch auf US-amerikanische Prestigeprojekte aus. In Chicago soll Calatrava den höchsten amerikanischen Wolkenkratzer bauen, am New Yorker Ground Zero einen Zentralbahnhof.

Architekt mit großem Horizont

Für seine Kunst fand Calatrava immer wieder auch andere Ventile als die Architektur. In Mallorca präsentiert er Skulpturen vor dem Eingang zum Museum der Moderne, 2001 enthüllte er nach Gewinn eines Wettbewerbs der "New York Times" in New York seine "Zeitkapsel", ein Kunstwerk, das Alltagsgegenstände, wissenschaftliche Errungenschaften, literarische Werke und historische Quellen des 20. Jahrhunderts enthält und erst am 1. Jänner 3000 geöffnet werden darf. Die Aufregung über den Fußgänger- und Radfahrersteg über die Wiener Triester Straße, wird sich dann wohl wieder gelegt haben.

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Santiago Calatrava