Tod in Kierling

Das langsame Verstummen des Frantisek K.

Franz Kafka, dessen Geburtstag sich am 3. Juli zum 125. Mal jährt, hinterließ nur ein schmales Werk, ebenso rätselhaft wie radikal. Was nur wenige wissen: Gestorben ist der große Prager Dichter, 41-jährig, in einem Sanatorium in der Nähe von Wien.

Als Franz Kafka am 5. April 1924 unter der Nummer 2557 ins Patientenverzeichnis des Sanatoriums Wienerwald bei Pernitz in Niederösterreich eingetragen wird, hat er noch 59 Tage zu leben. Dr. Franz Kafka, ein mäßig erfolgreicher Schriftsteller und pensionierter Angestellter der Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt aus Prag, leidet unter einer Tuberkulose, die sich von der Lunge auf den Kehlkopf übertragen hatte. Das Sanatorium in Pernitz ist nicht das erste, in dem Franz Kafka Heilung sucht.

Jahre zuvor schon war er in Meran und später in der Hohen Tatra gewesen. Ende September des Vorjahres war er zu seiner Freundin Dora Diamant nach Berlin gezogen. Im März 1924 schließlich - sein Zustand hatte sich dramatisch verschlechtert - brachte Max Brod, der Freund, Förderer und spätere Herausgeber seiner Werke, Kafka zurück nach Prag. Man entschied, ihn abermals in ein Sanatorium zu bringen. Doch mit den Liege- und Sonnenkuren allein scheint es nicht mehr getan. Anfang April 1924 nehmen seine Beschwerden weiter zu. Das Schlucken wird schmerzhafter, er magert weiter ab. Eine Verlegung nach Wien scheint unumgänglich.

Alkoholinjektionen in den Nerv

Am 10. April bringt Dora den geschwächten Franz Kafka nach Wien. Er schreibt an seinen Freund Robert Klopstock: "Liebster Robert, ich übersiedle in die Universitätsklinik des Prof. Dr. M. Hajek, Wien IX Lazarettgasse 14. Der Kehlkopf ist nämlich so angeschwollen, dass ich nicht essen kann, es müssen (sagt man) Alkoholinjektionen in den Nerv gemacht werden, wahrscheinlich auch eine Resektion. So werde ich einige Wochen in Wien bleiben. Herzliche Grüße. Franz."

Leider bringt auch der Aufenthalt in der Universitätsklinik des Professor Hajek nicht die erhoffte Besserung. Kafka leidet nicht nur physisch. Schlechter als das eigene Leid erträgt er die dem Krankenhaus gleichsam innewohnende Zurschaustellung von Leid und Tod. Er schreibt an Max Brod: "Lieber Max, weil dieses fortwährende Kranksein schmutzig ist, schmutzig dieser Widerspruch zwischen dem Aussehen des Gesichtes und der Lunge, schmutzig alles. Dem Spucken anderer kann ich nur mit Ekel zusehen und habe selbst doch auch kein Spuckfläschchen wie ich es haben sollte. So schmutzig ist alles."

Letzte Station

Am Samstag, den 19. April 1924, verlässt Franz Kafka nach knapp zwei Wochen die Klinik des Dr. Hajek in Wien um, noch immer gedämpft optimistisch, seine letzte Station aufzusuchen. Dora schreibt an seine Eltern nach Prag: "Es ist 25 Minuten von Wien. Der Arzt wird zur Behandlung hinkommen Ich war heute dort, ein prachtvolles Balkonzimmer im Süden gewonnen. Es ist eine Waldgegend, liegt wunderbar. Ab Sonnabend Adresse: Sanatorium Dr. Hoffmann. Klosterneuburg-Kierling."

Das Sanatorium des Doktor Hoffmann ist ein kleiner, wie eine Pension geführter Betrieb mit nur wenigen Zimmern. Da Doktor Hoffmann selbst zu alt ist, um sich um seine Patienten zu kümmern, kommt medizinische Hilfe aus Wien. Lakonisch notiert der Patient aus Prag: "Heute wieder ein schöner Tag, ich liege auf dem Balkon und habe es recht gut. Morgen soll der große Lungenarzt, der König der Wiener Lungenärzte, zu mir kommen, ich habe große Angst vor ihm."

Morphium und Pantopon

Um die Schluckbeschwerden wenigsten vorübergehend zu mildern, injiziert man Kafka, wie damals üblich, Alkohol. Ein äußerst unangenehmer und schmerzhafter Vorgang. Der Arzt Doktor Beck, der eines Sonntags zu Kafka nach Kierling gerufen wurde, notiert für einen Kollegen:

"Lieber Herr Dr. Weltsch, gestern wurde ich von Fräulein Diamant nach Kierling gerufen. Herr Kafka hatte sehr starke Schmerzen im Kehlkopf, besonders beim Husten. Bei der Nahrungsaufnahme steigern sich die Schmerzen derart, dass das Schlucken fast unmöglich ist. Ich konnte im Kehlkopf einen zerfallenden tuberkulösen Prozess konstatieren, der auch einen Teil des Kehldeckels mit einbezieht. Bei diesem Befund ist an irgendeinen operativen Eingriff überhaupt nicht zu denken, und ich habe eine Alkoholinjektion in den nervus laryngeus superior gegeben. Heute rief mich Fräulein Diamant wieder an, um mir zu sagen, dass der Erfolg nur ein vorübergehender war und die Schmerzen in derselben Intensität wieder aufgetreten sind. Ich musste ihr klarmachen, dass Dr. Kafka sowohl in der Lunge als auch im Kehlkopf sich in einem Zustand befinde, in dem kein Spezialist ihm mehr Hilfe bringen kann und man nur durch Pantopon oder Morphium die Schmerzen lindern kann."

Am 3. Juni 1924 stirbt Franz Kafka, 41-jährig, im Sanatorium des Doktor Hoffmann in Kierling bei Klosterneuburg. Der Arzt stellt "Tod durch Herzlähmung" fest.

Mehr zu Franz Kafka in oe1.ORF.at
Briefe von Franz
Literarischer Außenseiter Franz Kafka

Hör-Tipps
Tonspuren, Freitag, 27. Juni 2008, 22:15 Uhr

Die Hörspiel-Galerie, Samstag, 28. Juni 2008, 14:00 Uhr

Buch-Tipp
Hamid Sadr, "Gesprächszettel an Dora", Deuticke Verlag, wiederaufgelegt als Taschenbuch bei Shaker Media Aachen

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