Wie hell sind wir?

Welcome To Your Brain

Der Untertitel beschreibt das Buch von Sam Wang und Sandra Aamodt als "respektlosen Führer durch die Welt unseres Gehirns" und das ist nicht zu viel versprochen. Die Autoren kommen dabei ohne Fachjargon aus und bemühen sich sehr um Verständlichkeit.

Quizfrage: Wie viel Energie verbraucht das Gehirn. Ist es a) so viel wie die Kühlschrankbeleuchtung, b) so viel wie ein Laptop, c) so viel wie ein Auto im Leerlauf oder d) wie ein Auto auf der Schnellstraße? Die richtige Antwort lautet:

"Das Gehirn verbraucht weniger Energie als die Kühlschrankbeleuchtung", so Sam Wang. "Es gibt diesen Ausdruck, dass jemand nicht sonderlich hell im Kopf ist. Das heißt, er ist nicht sehr gescheit. Im wörtlichen Sinn ist unser Hirn nicht sehr hell, denn es verbraucht nur 12 Watt. Die Glühbirne im Kühlschrank verbraucht 30 Watt."

Mit solchen unterhaltsamen Quizfragen beginnen Sam Wang, Neurowissenschaftler an der Universität Princeton, und Sandra Aamodt, Chefredakteurin der Fachschrift "Nature Neuroscience", ihr Buch. Der Untertitel beschreibt das Buch als "respektlosen Führer durch die Welt unseres Gehirns" und das ist nicht zu viel versprochen. Die erwähnte "Respektlosigkeit" bezieht sich darauf, dass die Autoren ohne Fachjargon auskommen und sich sehr um Verständlichkeit bemühen.

Chaotisch wie ein China-Restaurant

Das Gehirn wurde traditionell mit den modernsten Techniken der Zeit verglichen, ob das nun Dampfmaschinen, Telefonschaltzentralen oder gar Katapulte waren. Heutzutage neigen die Menschen dazu, von dem Gehirn zu sprechen, als wäre es eine Art biologischer Computer mit einer pinkfarbenen, fleischigen "Hardware" und einer von der Lebenserfahrung geschaffenen "Software". Aber Computer werden von Ingenieuren so gebaut, dass sie wie eine Fabrik funktionieren, in der Aktionen nach einem Gesamtplan und in einer logischen Reihenfolge ablaufen, während das Gehirn eher wie ein hektisches China-Restaurant funktioniert: Es ist überfüllt und chaotisch, und die Leute rennen ohne erkennbaren Sinn und Zweck hin und her, aber auf wundersame Weise werden am Ende alle Bestellungen erledigt.

Der Anstoß für das Buch kam für die Autoren aus ihren Alltagserfahrungen. Ob im Taxi, auf Partys oder auf Konferenzen: Immer wieder wurden sie gefragt, was eigentlich unter der Schädeldecke vor sich gehe: "Man hat uns etwa gefragt: Stimmt es, dass Menschen nur zehn Prozent ihrer Hirnkapazität nutzen?", erzählt Wang. "Schließlich haben wir uns gedacht: Warum schreiben wir nicht ein verständliches Buch über das Gehirn? Denn in den letzten Jahrzehnten hat es in den Neurowissenschaften rasante Fortschritte gegeben."

Um die Frage zu beantworten: Menschen nutzen nicht nur bescheidene zehn, sondern volle 100 Prozent ihrer Hirnkapazität. Der Mythos, dass Menschen nur zehn Prozent nutzen, hält sich jedoch hartnäckig.

Überholte Mythen

"Welcome To Your Brain" beginnt mit dem Aufbau des Gehirns, vom Hippocampus bis zu den Frontallappen. Es erklärt die Funktion der fünf Sinne ebenso wie die Ursachen für den Jetlag, die Denkunterschiede zwischen Männern und Frauen oder warum man sich nicht selber kitzeln kann. Wichtig war den Autoren, falsche Vorstellungen auszuräumen, denn der Mythos vom nicht ausgelasteten Gehirn ist nur einer von vielen.

Ein weiterer Mythos hält sich und kommt überall dort irgendwann einmal zur Sprache, wo Menschen Alkohol trinken. Es dauert nicht lange, und jemand scherzt mit Garantie über die Hirnzellen, die er mit seinem doppelten Cognac gerade umgebracht hat.

"Das stimmt nicht", entgegnet Wang. "Weder mäßiger noch hoher Alkoholkonsum tötet Hirnzellen. Das ist nur bei den allerschwersten Trinkern der Fall. Zu viel Alkohol über viele Jahre führt allerdings zu einer Hirnschrumpfung. Wenn jemand nun mit dem Trinken aufhört, dann wird dieser Schrumpfungsprozess wieder rückgängig gemacht."

Dichtung und Wahrheit über Amnesie

Ein Kapitel widmen die Autoren auch dem Gehirn in der Populärkultur. Besonders beliebt ist bei Drehbuchautoren Gedächtnisverlust, und das schon seit der Stummfilmära. Die Symptome, so Sam Wang, werden meist falsch dargestellt, wie etwa in den Action-Filmen der Bourne-Trilogie. Der Held, Jason Bourne, vergisst zwar, dass er ein Profikiller ist, doch wenn es ihm an den Kragen geht, besinnt er sich wundersamerweise auf seine einschlägigen Fähigkeiten. Amnesie sei selten so perfekt selektiv, meint Sam Wang.

Treffender sei Gedächtnisverlust im Walt Disney Film "Findet Nemo" dargestellt: "Diese eine Figur ist ein Fisch namens Dori. Sie leidet an Kurzzeitgedächtnisverlust. Sie kann Dinge nicht länger als ein paar Minuten im Kopf behalten. Das ist sehr realistisch dargestellt. Sie ist oft verwirrt und weiß nicht, was eigentlich um sie vor sich geht. Auch die Reaktion der anderen Fische auf sie stimmt. Sie sind oft frustriert, weil sie nicht verstehen, dass jemandem eine universelle Fähigkeit fehlt, die so wichtig für die Kommunikation ist."

Sport stärkt Hirnfunktion

Themen über altersbedingte Gedächtnisschwäche und eingeschränkte Hirnfunktion zählen mittlerweile zu den Fixpunkten in den Medien. Das ist eine Reaktion auf den demographischen Trend einer zunehmend alternden Bevölkerung. Neue Spiele und Computerprogramme zum Hirntraining verkaufen sich gut. Sam Wang erklärt deren eingeschränkten Nutzen:

"Wenn man diese Rätsel löst und diese Spiele spielt, dann verbessert das die Fähigkeit, solche Rätsel zu lösen und solche Spiele zu spielen. Wenn man das Gefühl hat, dass man sich nichts merkt, dann werden Gedächtnisübungen hilfreich sein, doch eine bessere Merkfähigkeit bedeutet nicht, dass man schneller rechnen kann. Doch Sport und Bewegung haben selbst im Alter eine positive Wirkung auf eine ganze Bandbreite von Hirnfunktionen, wie etwa Vorausplanen, Entscheidungen treffen oder sich im sozialen Umfeld zurechtfinden"

Trotz der rasanten Fortschritte in den Neurowissenschaften gibt es noch viele Fragen zu beantworten. Dazu zählen etwa die Ursachen von Alzheimer oder Autismus. Doch auch harmlose Phänomene geben hartnäckig Rätsel auf: Forscher haben nach wie vor keine Antwort darauf, warum Gähnen so ansteckend wirkt.

Service

Sam Wang und Sandra Aamodt, "Welcome To Your Brain", C. H. Beck Verlag

C. H. Beck - Welcome To Your Brain