Roman aus der Mekka-Bar

Jussifs Gesichter

Es ist ein verwirrender und komplexer Roman, den Najem Wali geschrieben hat. Nichts ist darin so, wie es auf den ersten Blick scheint. Der Irak wird zu einem Land der Phantome, in dem Namen und Identitäten austauschbar werden.

Der Irak als eine große Nervenheilanstalt, ein Irrgarten der Verrücktheit, in dem sich die Menschen rettungslos zu verlaufen drohen: Der in Deutschland lebende irakische Autor Najem Wali hat sich in seinem neuen Roman auf sehr eigenwillige Weise mit den Geschehnissen im Irak auseinandergesetzt. Hinter dem schlichten Titel "Jussifs Gesichter" verbirgt sich ein Verwirrspiel aus Namen, Identitäten und Erinnerungen.

Jussifs Bruder Junis hat sich unter Saddam Hussein als Henker verdingt und ist nach dem Einmarsch der Amerikaner verschwunden. Jussif übernimmt daraufhin Junis' Namen und sein gesamtes Leben, bis hin zu dessen Familie - und muss erkennen, dass er nun selbst zu einem Gejagten wird. Die Frage der Identität hat für Najem Wali eine besondere Bedeutung - gerade vor dem Hintergrund eines Krieges: "Ich weiß, dass nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes, wie viele Leute ihre Haut geändert haben, einfach neue Identität beworben haben, viele sogar hier gelebt haben unter anderem Namen und mit anderem Beruf, einige sind sogar nicht entlarvt worden. Die Lage ist für mich auch identisch mit der Lage im Irak."

Die Schuld des Anderen tragen

Als Jussif seinen abgelegten Namen im Impressum einer Zeitung findet, macht er sich auf die Suche nach seinem Bruder, durchstreift die Straßen von Bagdad, hofft vergeblich darauf, im Leichenschauhaus Junis' Körper zu finden. Gleichzeitig verfolgen ihn Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit, als er, Jussif, in ein Mädchen verliebt war, in das Mädchen mit den grünen Augen, den blonden Zöpfen und dem blauen T-Shirt. Auch Junis war hinter dem Mädchen her, aber weil sie Jussif den Vorzug gab, rächte sich Junis auf grausame Weise: Er gab dem Kind einen Kuchen mit Nägeln zu essen, aber nicht er, sondern Jussif wurde als Mörder gebrandmarkt.

Jussif muss seither mit einer Schuld leben, die nicht die seine ist, und hat das Gefühl, in zwei Personen zu zerfallen: die, die er ist, und die, die er gern gewesen wäre:

Kultur des Vergessens
Hinter Najem Walis oft poetischer und ebenso oft irritierender Sprache verbirgt sich seine persönliche Idee des Irak - als ein Land, in dem eine Kultur des Vergessens herrschte, in dem es gefährlich war, sich zu erinnern und in dem erst heute eine Rückschau möglich ist, eine mühsame und oft schmerzhafte Rückschau: "Ich habe die Menschen gesehen, wie kaputt die Menschen waren", so Walis, "diese Verstörung, die da stattgefunden hat. Die Menschen, wenn sie auf die Straße laufen, sie guckten nicht nach oben. Ihre Blicke waren immer auf den Boden gerichtet. Und das kommt, weil man Angst hat, wenn man nach oben guckt."

So geht es in Walis Roman um das Vergessen und das Erinnern, um die Frage nach der eigenen Identität, nach Schuld und Unschuld. Jussif ist für Najem Wali ein Mann, der sich in einem Land voller Verbrecher die Unschuld bewahrt hat, aber der die Schuld für einen Mord auf sich nimmt und schwer an ihr trägt. Ruhe findet Jussif nur in der geheimnisvollen Mekka-Bar, einem inneren Raum, in dem die Iraker ihre Masken fallen lassen können: "Die Bars für die Iraker, die Männer besonders, waren die Orte, in denen man Demokratie ausüben konnte", erklärt Wali. "Das ist der einzige Ort, wo man frei das Ganze, was man im Inneren hatte, nach außen ausschüttet. Es ist Mekka, in dem Sinne, wo man hinpilgert, wenn man verzweifelt ist, wenn man traurig ist, besonders."

Land der Phantome

Es ist ein verwirrender und komplexer Roman, den Najem Wali geschrieben hat. Nichts ist darin so, wie es auf den ersten Blick scheint. Der Irak wird zu einem Land der Phantome, in dem Namen und Identitäten austauschbar werden, und Wali spielt hemmungslos mit Bedeutungen und Motiven. Das kleine Mädchen aus Jussifs Kindheit etwa trägt den Namen Sarab, was so viel bedeutet wie "Fata Morgana", Jussifs ehemalige Schwägerin und nunmehrige Frau nimmt den Namen Sarab an, Frauen, die Jussif begegnen, heißen ebenfalls Sarab und sie alle sind vielleicht das kleine Mädchen, vielleicht aber auch nur ein Trugbild.

Najem Walis Bagdad ist so etwas wie ein großes Spiegelkabinett, in dem man nur Zerrbilder und Täuschungen findet. Wali durch sein Labyrinth zu folgen, ist nicht immer ganz einfach, aber schließlich hatte sogar der Autor selbst mitunter Probleme, sich in seiner eigenen Handlung zurechtzufinden: "Manchmal bin ich so hineingeschlüpft, dass ich denke: warte mal, wer spricht jetzt da?", erzählt er. "Es ist wie wenn man mehrere Spiegel im Zimmer hat. Und ich habe zwei, drei Spiegel in dem Zimmer in Hamburg und wirklich, als ob die Bilder jetzt hineingehen und manchmal sagen, wer spricht da? Und es gab Momente, wo ich sage, es ist egal, wer da spricht. Das ist, was ich darstellen wollte."

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 4. Juli 2008, 16:30 Uhr

Ex libris, Sonntag, 6. Juli 2008, 18:15 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Najem Wali: "Jussifs Gesichter. Roman aus der Mekka-Bar”, übersetzt von Imke Ahlf-Wien, Hanser Verlag