Im siebenten Himmel angekommen

Sommerliebe

Zugegeben: Kurzfristig mag sie existieren, die perfekte Liebe. Aber sie ist, wie eine Seifenblase, dem großen Feind ausgeliefert: der Zeit. Dem Weiterleben. Den minimalen Veränderungen. Sie arbeitet langsam, und sie hat viele Verbündete.

"Die Liebe ist eine Himmelsmacht", schmettert der Operettentenor in die laue Sommernacht, und seine Zuhörerinnen und Zuhörer, verführt durch die Macht der Musik, sind geneigt, ihm zu glauben. Eine Himmelsmacht? Wirklich? Wäre der Himmel gnädig, würde er uns dieses Chaos nicht zumuten, das wir in Ermangelung eines anderen Vokabels "Liebe" nennen.

Seien Sie ehrlich: Haben Sie je zwei Menschen getroffen, für die diese zeitweilige emotio-hormonelle Verwirrung namens "Liebe" eine deckungsgleiche Bedeutung hatte? Und haben Sie nicht selbst schon versucht, die Ihnen durchaus bewusste Diskrepanz der gegenseitigen Gefühle in Ihrer Partnerschaft mit wohlüberlegten Worten zu kaschieren und den anderen über die wahre Dimension Ihrer Zuneigung im Unklaren zu lassen? Mehr vorzugeben, als wirklich da ist, um das Ziel zu erreichen, was immer das ist: Sex, Geborgenheit, Status, Familie...

Romantische Illusion

Die Beziehung, bei der alles stimmt, bei der sich Seele, Herz und Hirn der Partner im Gleichklang wähnen, bei der auch Zärtlichkeit und Sex nicht zu kurz kommen, ist eine Illusion. Eine Illusion, die von den Geschichtenerzählerinnen und -erzählern genährt wird. Die "romantische Liebe", die gegen alle Hindernisse besteht und ihre Erfüllung findet, nahmen nicht einmal die Romantiker selber ernst.

Eichendorff zum Beispiel lässt eine seiner Figuren im "Taugenichts" eine lange, schöne Rede zu Ehren eines Liebespaares halten, und er endet mit dem Wunsch: "Und nun, ihr zwei lieben närrischen Leute (...) liebt euch wie die Kaninchen und seid glücklich!"

Eine Seifenblase

Zugegeben: Kurzfristig mag sie existieren, die perfekte Liebe. Aber sie ist, wie eine Seifenblase, dem großen Feind ausgeliefert: der Zeit. Dem Weiterleben. Den minimalen Veränderungen. Sie arbeitet langsam, und sie hat viele Verbündete: Die Augen der anderen. Den Neid der anderen. Die Konventionen. Den Standesunterschied. Die Lebensumstände. Diese kleinen Feinde sind wie Prüfungen. Heißt es nicht, wahre Liebe überwindet alle Hindernisse? Und wenn es so ist, wenn alle Hindernisse aus dem Weg geräumt sind, wartet am Ende wieder der große Feind, die nagende, bohrende, gnädige Zeit.

Die wahre, große Liebe ist unmöglich, sagt unser Hirn. Und unser Herz sucht. Irgendjemandem muss es doch irgendwo gelungen sein, das Feuer der Liebe nicht erlöschen zu lassen. Vielleicht hätten es Ofeji und Iriyise geschafft, wäre ihnen nicht der Biafra-Krieg dazwischengekommen. Orpheus und Eurydike auf Nigerianisch.

Innere Schranken

Krieg ist eine beliebte Kulisse, wenn es um Liebesgeschichten geht. Solche Geschichten nähren die Illusion, dass sich die Liebe erfüllt hätte, wären die beiden nicht getrennt worden. Auch die Geschichte der Liebe von Amabelle und Sebastien erzählt davon. Sie spielt in Haiti, wo der Krieg der Reichen gegen die Armen so alltäglich geworden war, dass ihn kaum jemand mehr bemerkte, am allerwenigsten die ganz unten. Die Unterdrückung, die alltäglichen Demütigungen und die schwere Arbeit hinderten das Dienstmädchen Amabelle und den Erntehelfer Sebastien aber nicht daran, zu glauben, dass ihre Liebe eine Chance hätte. Bis eine Woge der Gewalt alle ihre Hoffnungen zerstörte.

Doch viel verheerender für das Bestehen der wahren Liebe sind die Schranken, die die Menschen in ihrem Inneren errichten. Maria, die Tochter des reichsten Gutsherren in Nuoro, Sardinien, wehrt sich vehement gegen das Gefühl, das Pietro, der doch nur Knecht ist, in ihr weckt. Und Ennis und Jack, die beiden Cowboys, die sich am Brokeback Mountain kennen und lieben gelernt haben, kämpfen jeder für sich gegen die in ihren Augen unmögliche Liebe. Ein harter Kerl verliebt sich nicht in einen Mann. Und außerdem: Hätte man sie in Frieden leben lassen, mitten in Wyoming? Und wenn die elegante Pariserin George die Chance ergriffen hätte und auf den Vorschlag ihres Gauvain eingegangen wäre, der sich für sie vom bretonischen Fischer in einen gebildeten Menschen verwandeln wollte, hätte diese Beziehung Bestand gehabt? Als lebenslange leidenschaftliche Affäre wurde sie weltberühmt - "Salz auf unserer Haut".

Drei Tage Glück

Im Grunde weiß man, dass die meisten Liebesgeschichten kein Happy End haben. Luo, der Student auf Landeinsatz, und die kleine chinesische Schneiderin fanden einander durch verbotene Bücher. Die schöne unglückliche Perpétue irgendwo in einem fiktiven Kamerun ließ sich ihre Liebe zu dem attraktiven Fußballstar Zeyang nicht nehmen, obwohl sie ahnte, was auf sie zukommen würde. Der junge russische Adelige war beinahe schon wild entschlossen, die als Hexe verfemte schöne Olessja zu heiraten, aber er war zu langsam.

Nur Aida Cheng schaffte es, ihre Liebe lebendig werden zu lassen. Ganze drei Tage dauerte das Glück, ein höchst zerbrechliches, denn ihr Partner war der weltbekannte Tenor Enrico Caruso. Diese drei Tage fehlen in seiner Biografie. Man weiß nur, dass er nach einer Explosion völlig verstört aus dem Teatro Nacional in Havanna gestürzt war und erst nach drei Tagen wieder auftauchte. Gab es die Näherin Aida? Rettete sie ihn wirklich vor seinen Mördern? Was geschah in jenen drei Tagen?

"Die Liebe, die Liebe ist eine Himmelsmacht", singt der Tenor. Ist es so?

Hör-Tipp
Terra incognita Spezial, ab 6. Juli 2008, jeweils sonntags im Juli und August, 13:10 Uhr