Im Fokus der Investoren

Montenegro im Aufbruch

Ein Bauboom ungeahnten Ausmaßes bedroht Montenegros Küstenlandschaft. Wie sehen junge montenegrinische Literaten und Künstler die rasante Entwicklung in ihrer Heimat, in der eigenständige Kunst bis vor wenigen Jahren nur im Verborgenen blühen konnte?

Am 3. Juni 2006 schied Montenegro aus dem damaligen Staatenverbund mit Serbien als autonome Republik. Der 650.000-Einwohner-Staat mit einer Gesamtfläche von 13.800 Quadratkilometern (im Vergleich Tirol: 12.650 Quadratkilometer) verzeichnete 2006 ein Wirtschaftswachstum von 6,5 Prozent und eine Arbeitslosenrate von über 30 Prozent. Wesentlicher Schwachpunkt der Wirtschaft ist die marode Infrastruktur des Landes.

Dabei haben ausländische Investoren längst ein Auge auf Montenegro geworfen. Der Hauptanteil der Geldflüsse wird für Immobilien an Montenegros Adriaküste zwischen der Bucht von Kotor und Bar verbucht, deren Grundstückspreise von russischen wie auch von britischen und kanadischen Investoren in die Höhe getrieben werden.

Ausverkauf an der montenegrinischen Adriaküste?

Das an der Grenze zu Albanien liegende Ulcinj, eine von albanischen Muslimen dominierte Stadt mit knapp 11.000 Einwohnern, kann auf einen der längsten Sandstrände der Adria verweisen, ein beliebtes Urlaubsziel sonnenhungriger Urlauber aus Westeuropa und eingefleischter Nacktbader vor dem Jugoslawien-Krieg. Doch dieser schob der florierenden Tourismusmaschinerie einen Riegel vor. Das Jahre andauernde Wirtschaftsembargo versetzte der Stadt einen weiteren Tiefschlag, von dem sie sich nur mühsam zu erholen scheint.

Heute hinterlässt der Strand mala plaza zu Füßen der Altstadt einen vernachlässigten Eindruck, der in der Vor- und Nachsaison besonders augenscheinlich wird. Während Ulcinj noch in einer Art Dornröschenschlaf zu liegen scheint und seinen Prinzen in Gestalt ausländischer Investoren sehnsüchtig herbeisehnt, ist knapp 60 Kilometer nördlich der Zug bereits abgefahren. So haben sich die Grundstückspreise an der Küste zwischen Bar und der Bucht von Kotor in den letzten Jahren vervielfacht, Quadratmeterpreise von 1.000 Euro und darüber sind keine Seltenheit mehr.

Das kulturelle Herz Montenegros

Die Buchhandlung Carver ist in einem der ältesten Objekte der Hauptstadt Podgorica untergebracht. In einem alten türkischen Bad, einem so genannten Hamam, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, ist heute der kulturelle Pulsschlag des Landes zu spüren.

Allein das Ambiente wirkt: Grelle Graffiti an den Stützsäulen der Autobahnbrücke, zahlreiche Plakate von Musikveranstaltungen und Kulturevents und eine Buchhandlung, die wenige Wünsche offen lässt. Sogar Thomas Bernhard ist vertreten. Nur Kaffee gibt es momentan keinen - wegen akuter Wasserknappheit. In der Hochsaison im Sommer ist das besonders schlimm. In dieser Zeit rationiert die Stadtverwaltung das Wasser in Podgorica auf ein Minimum.

Treffpunkt der lokalen Kulturszene

Die Einheimischen sind das gewohnt. Dafür ist Bier und Mineralwasser ausreichend vorhanden. Gegen Abend verwandelt sich die Buchhandlung Carver in einen Treffpunkt der lokalen Kultur- und Literaturszene. Zu den Stammgästen zählt Balsa Brkovic, Jahrgang 1966.

Er leitet die Kulturredaktion der Tageszeitung "Vijesti" und zählt heute zu den renommiertesten zeitgenössischen Autoren des Landes: "Die Buchhandlung Carver ist ein gut funktionierendes Kulturzentrum, das weite Kreise zieht, und fortschrittlichere Programme hat als irgendwelche staatlichen Institutionen. Das ist ein Ort der Spontaneität, ein Ort, wo neue post-jugoslawische Literatur passiert - also kroatische Literatur ebenso wie bosnische, serbische und montenegrinische - und es ist ein Ort, dem man nicht ausweichen kann."

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 14. Juli 2008 bis Donnerstag, 17. Juli 2008, jeweils 9:05 Uhr

TV-Tipp
"Montenegro - Wildes, schönes Land", Mittwoch, 13. August 2008, 23:00 Uhr, ORF 2

Buch-Tipps
Achim Wigand, "Montenegro" Michael Müller Verlag

Annalisa Rellie, "Montenegro", Bradt travel guide

Doris Pollet-Kammerlander (Hg.), "Montenegro", Wieser Verlag