Zwischen Karlsplatz und Grinzing
35 Jahre Wiener Drogenpolitik
Der Gebrauch von Drogen ist Teil der Gesellschaft, doch Drogen sind ein emotional besetztes Thema, Drogenpolitik neigt zu Ideologisierungen. Erst in den letzten Jahrzehnten wurden Leidensminderung und Schadenbegrenzung ins Zentrum gerückt.
8. April 2017, 21:58
Die eine Wiener Örtlichkeit verbindet man mit Elend und Kriminalität, die andere mit Genuss und Kultur. An beiden werden Drogen gekauft und konsumiert.
Die Einnahme von Substanzen zur Beeinflussung unserer Stimmung ist ein universales menschliches Bedürfnis. Drogengebrauch ist Teil der Gesellschaft. Wie so oft geht es um den richtigen Umgang der Menschen damit und in der Politik um eine zielführende Reaktion auf den Drogenmissbrauch. Bei der Verwendung illegaler Drogen kommt die sicherheitspolitische Komponente hinzu, gesundheitspolitisch ist die Unterscheidung nicht sinnvoll.
"So wenige Menschen wie möglich sollen Drogen konsumieren, und die nicht davon abzuhalten sind, sollen so wenig Schaden wie möglich nehmen." Das ist das erklärte Ziel der Wiener Drogenpolitik, festgehalten im Drogenkonzept 1999.
Drogen sind potenziell süchtig machend, darin liegt ihre Gefährlichkeit. Bei Sucht handelt es sich um eine schwere chronische Abhängigkeitserkrankung, bei der auch gesetzlich erlaubte Stoffe wie Alkohol, Nikotin oder gewisse Medikamente zu Suchtmitteln werden können, so die Sucht und Drogen Koordination Wien.
Ziel: Leidensminderung
Das Ziel, das persönliche Leid der Betroffenen zu minimieren, ist ein relativ junges. Es ist erst im Lauf der letzten 35 Jahre in den Fokus der Wiener Drogenpolitik gerückt, wie eine aktuelle Studie des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspoltik und Sozialforschung detailliert aufzeichnet.
Beginnend mit den 1960er Jahren des vorigen Jahhunderts war die Repression die einzige beziehungsweise lange Zeit vorherrschende Reaktion auf die Drogenproblematik. Eher zögerlich vollzog sich der Wandel von der Strafe zur Therapie. Die 1980er Jahre waren gepägt durch eine große Verelendung der Drogenkranken sowie hitzigen Richtungsstreits über die Ziele Abstinenz oder Leidensminderung.
Zu einer Versachlichung der Debatte führte in Wien die Einrichtung einer eigenen Drogenverwaltung, der Sucht und Drogen Koordination Wien. Von da ging die Entwicklung rasch voran: Das Angebot der Drogenhilfe wurde differenzierter und professioneller. Durch Streetworker erreichte man viel mehr Betroffene, das Spritzentauschprogramm und das Drogenersatzprogramm (Substitution) waren wesentliche Schritte in Richtung Leidensminderung. Vorangetrieben wurde die Entwicklung durch die Ausbreitung ansteckender Krankheiten.
Abstinenz musste in vielen Fällen als unrealisierbares Wunschziel aufgegeben oder doch zumindest in die Zukunft verschoben werden. Hier nimmt die Substitution einen wichigen Stellenwert ein. Sie stabilisiert und ermöglicht in vielen Fällen erst einen Gesundheitszustand und ein Sozialleben, das zur Planung weiterer Schritte befähigt.
Andererseits darf man nicht vergessen, dass in hunderttausenden Fällen, insbesondere bei Alkoholkranken, die Abstinenz das einzig mögliche Behandlungsziel bleibt, weil es kein Substitut gibt und reduziertes und kontrolliertes Trinken nur in Ausnahmefällen funktioniert. Ähnlich ist es bei der Nikotinsucht.
Ideologisch besetzes Thema
Die vier Säulen der Drogenpolitik sind: Prävention, gesundheitsbezogene Maßnahmen, soziale Maßnahmen und Sicherheit. Allein die Aufzählung der Bereiche, die Drogenpolitik als Querschnittspolitik umfasst, deutet die Komplexität des Themas an.
Mit kompexen Themen, die einer differenzierten Sichtweise bedürfen, lässt sich schlecht Politik machen, darin dürfte einer der Gründe liegen, warum das Thema Drogen nach wie vor stark ideologisch geprägt ist. Es eignet sich vortrefflich für die Suche nach Sündenböcken, wofür in den letzten Jahren "Schwarzafrikaner" herhalten mussten.
Drogenkriminalität ist in erster Linie Wirtschaftskriminalität, darin muss einer der Ansatzpunkte internationaler Drogenpolitik liegen. Auch der Ruf nach mehr Strafe für Drogenkonsumenten wird immer wieder laut, trotz aller gegenteiligen Erkenntnisse, dass Strafe das Problem nicht beseitigt. In Zukunft wird man sich verstärkt der Suchtprävention und der Integration am Arbeitsmarkt widmen müssen.
Letztlich muss auch angemerkt werden, dass eine Gesellschaft, die den Konsum im Allgemeinen und den schnellen "Glückskick", aber zugleich auch Leistungsdruck und Vereinzelung fördert, mitveranwortlich ist, dass der Drogengebrauch und damit auch die Gefahr des Missbrauchs steigt.
Hör-Tipp
Journal Panorama, Montag, 14. Juli 2008, 18:20 Uhr
Links
Europäisches Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung
Sucht und Drogen Koordination Wien
Grüner Kreis
Dialog - Verein zur Beratung und Betreuung, Fortbildung im Bereich Prävention. Substitution.
Vienna NGO Committee on Narcotic Drugs