Gender-Medizin - Teil 3

Sind Frauen das "verrückte" Geschlecht?

Frauen sind nicht häufiger psychisch krank als Männer. Aufgrund ihres Berichtstils und der immer noch männlich dominierten ärztlichen Ausbildung werden psychische Erkrankungen bei Frauen allerdings immer noch weitaus häufiger diagnostiziert.

Sind Frauen häufiger psychisch krank als Männer? Die Gender-Medizin sagt dazu Ja und Nein. Bei Frauen wird, wenn sie ihren Arzt oder ihre Ärztin aufsuchen, deutlich häufiger eine psychiatrische Symptomatik diagnostiziert. Das reicht von psychovegetativen Problemen, über Depressionen und Angststörungen bis hin zu Panikattacken.

Weit verbreitetes Problem

Die Gender-Medizin, die sich seit einigen Jahren mit dem Thema Frauen, Männer und Psychiatrie auseinandersetzt, kennt mehrere Ursachen für dieses - übrigens in der gesamten industrialisierten Welt - verbreitete Problem. Zum einen berichten Frauen anders über ihre Symptome als Männer. Sie beziehen ihren psychosozialen Kontext in die Schilderung ihrer Beschwerden mit ein.

Ärztinnen und Ärzte tippen aufgrund dieses "Berichtstils" viel eher auf eine psychiatrische Symptomatik. Zum anderen sind Frauen aber auch häufiger doppel- und dreifachbelastet - und das wirkt sich natürlich auf die Psyche aus. Sind Frauen aber tatsächlich das "kränkere", das "verrücktere" Geschlecht? Geht man von den Rahmenbedingungen aus, könnte diese Frage durchaus mit Ja beantwortet werden. In der Praxis heißt die Antwort allerdings Nein.

Sind Frauen schwach?

Frauen leiden zwar tatsächlich etwa zweimal häufiger als Männer an Depressionen und Angststörungen. Allerdings spielt auch der Umgang der Medizin mit Patientinnen eine wesentliche Rolle bei der Zuschreibung von psychiatrischen Diagnosen für Frauen.

Eine US-Studie befragte etwa medizinisches Personal, welche Eigenschaften gesunden weiblichen Erwachsenen zugeordnet würden. Die übereinstimmende Meinung der befragten Mediziner und Pfleger lautete: "Frauen neigen im Gegensatz zu Männern eher zu mehr Unterordnung, Emotionalität, Beeinflussbarkeit und zu weniger Unabhängigkeit, Abenteuerlust und Aggressivität."

Keine Frauenkrankheit mehr

Lange Zeit galt die Depression demzufolge beinahe als reine "Frauenkrankheit". Dass auch Männer unter Depressionen leiden, wurde nicht gesehen. Und das hatte einen einfachen Grund: Männer zeigen bei Depressionen oft völlig andere Symptome als Frauen. Sie neigen zu Aggressionen, Wutausbrüchen und selbstzerstörerischem Verhalten. So kann etwa auch die Alkoholabhängigkeit ein Zeichen für eine "versteckte" Depression von Männern sein.

Stereotypen hinterfragen

Das relativ junge Forschungsgebiet der Gender-Medizin versucht, die vorliegenden Rollenstereotypen zu hinterfragen und zu ermitteln, welche psychischen Erkrankungen bei Männern und Frauen in welcher Ausprägung auftreten. Das beginnt bei der Erforschung der Depression und anderer affektiver Störungen, wie etwa Angsterkrankungen bei Frauen und Männern, und hört in der Suchtforschung noch lange nicht auf.

Die Depression ist übrigens, wie auch der Herzinfarkt, derzeit eine der am besten untersuchten Erkrankungen in der Gender-Medizin. Dabei hat sich herausgestellt, dass Männer viel häufiger an Depressionen erkranken, als bisher angenommen.

Nicht abspeisen lassen

Was führt, abgesehen vom Blick der Medizinerinnen und Mediziner auf die Patientin Frau, noch dazu, dass eher rasch die Diagnose "psychiatrisch" gestellt wird? Hier ist der unterschiedliche Berichtstil zu nennen, den Frauen und Männer beim Arzt/bei der Ärztin anwenden.

Frauen, die sich mit einer psychiatrischen Diagnose, wie etwa der psychovegetativen Dystonie "abgespeist" fühlen, müssen sich damit allerdings nicht abfinden. Allerdings macht es Sinn, sich beim Arztbesuch eines "knapperen Berichtstils" zu bedienen, aber auch ein ausgeprägtes Selbstvertrauen schadet nicht, wenn es um die beste Behandlung für die vorliegenden Symptome geht.

Geschärfter Blick

Obwohl die Gender-Medizin in der Psychiatrie erst am Anfang steht, so können erste positive Auswirkungen bereits beobachtet werden: Im neuen Medizin-Curriculum an Österreichs Medizin-Unis gehört die Gender-Medizin und damit der geschärfte Blick auf Stereotype in der Diagnostik und Therapie von Männern und Frauen zum Ausbildungsprogramm.

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Hör-Tipp
Radiodoktor-Gesundheitsmagazin, Montag, 21. Juli 2008, 14:05 Uhr