Geschichte eines Volkes
Freundschaft bis in den Tod
"Rettet euren Freund, auch wenn es zu eurem Untergang führt." Nach diesem Motto lebte Mano Dayak, Tuareg-Führer und Poet. "Die Wüste ist Verführung und Verderben", könnte das Credo des anderen großen Tuareg-Schriftstellers sein: Ibrahim al-Koni.
8. April 2017, 21:58
Den Blauen Herren der Wüste, den Tuareg, den stolzen Hütern der Wege und Bewahrern der nomadischen Traditionen könnten einige von Ihnen schon in frühester Jugend begegnet sein: in den Wüstenromanen des viel geschmähten Karl May. Überhaupt sind sie dankbare Vorbilder für Schreiber von Abenteuerromanen unterschiedlichster Qualität. Ich weiß noch genau, wie aufgeregt ich war, als mir 1994 das erste Buch mit authentischen Tuareg-Gedichten in die Hand fiel. Zum ersten Mal echte Worte eines Targi oder einer Targia lesen! Es war erhebend und mit der Faszination vergleichbar, die ich bei der Entdeckung von Saint-Exuperys "Wind, Sand und Steine" erlebte.
Bewohner und Besucher der Wüste
Kaum ein Jahr später war der erste Roman von Ibrahim al-Koni in deutscher Sprache zu lesen, und schon in diesem Roman "Blutender Stein" war der Urkonflikt erkennbar, dem sich al-Koni Zeit seines Lebens widmen würde: dem unüberbrückbaren Abgrund, der die Bewohner der Wüste von den Besuchern der Wüste trennt. Ibrahim al-Koni wurde in Libyen geboren, in einer Oase mit dem Namen Ghadamès. Ob er als Targi geboren wurde, ist nicht zu eruieren, denn überall steht: Er wurde in der Tradition der Tuareg erzogen. Aber ist er dadurch weniger einer der Tuareg? Auch wenn er mittlerweile ganz wüstenfern in der Schweiz lebt, hat er doch die Gesetze der Wüste nicht verletzt und das Wort des Mufflons, das die Seele der Bergwüste verkörpert, in die Tat umgesetzt: "Wenn du die Berge der Wüste verlassen musst, such dir neue Berge!"
Ibrahim al-Koni hat mittlerweile mehr als 80 Bücher veröffentlicht, nur ein Bruchteil davon ist in deutscher Sprache erschienen. Seit 1990 arbeitet er am großen Projekt, das Epos der Tuareg zu schreiben. Einige Teile des Epos sind mittlerweile auch erschienen: "Die Magier", "Die verheißene Stadt" und "Die Puppe". Der zentrale Gedanke: die Gespaltenheit des Menschen, der sich einerseits nach Beständigkeit sehnt und andrerseits dem Drang nach dem Freisein folgen und weiterziehen muss.
Konflikt um Selbstbestimmungsrechte
Etwa ein Jahr jünger als al-Koni ist Mano Dayak, mehr Tuareg-Führer als Schriftsteller. Er veröffentlichte Bücher zur Kultur und Geschichte seines Volkes und seine eigene Autobiografie, "Geboren mit Sand in den Augen". Er versuchte, im Konflikt um die Selbstbestimmungsrechte der Tuareg einen Kompromiss zu erreichen, starb aber auf dem Weg zu einer Verhandlungsrunde, als sein Flugzeug in der Nähe von Adadez explodierte. Die genauen Umstände dieses Crashs wurden nie aufgeklärt. Der Flughafen von Adadez trägt seither seinen Namen.
Ihm haben auch Tinariwen, die von manchen als die "Rolling Stones der Sahara" bezeichnet werden, einen Song gewidmet. Tinariwen, denen es gelungen ist, den Blues der Tuareg in die Welt zu tragen. "Assouf" nennen sie ihre Musik, und es ist dasselbe Wort, das die Tuareg für dieses ziehende Gefühl, die Mischung aus Einsamkeit, Schmerz, Heimweh, Sehnsucht nach Liebe, Trauer und Auflehnung kennen, das alle Völker der Welt kennen, und für das unsere Zeit den Begriff "Blues" akzeptiert hat.
Ishumars in Paris
Tinariwen sind nicht die einzigen Tuareg-Musiker. Tatsächlich gibt es viele, und viele leben im Exil in Frankreich. Sie bezeichnen sich als Ishumars, als "Arbeitslose", als jene Generation der Tuareg, die die Jahre der Trockenheit, des Exils und des bewaffneten Widerstands erlebt haben. Tinariwen sind in der Wüste geblieben, leben dort - wenn sie nicht gerade auf Tournee sind.
Service
Lenos Verlag - Ibrahim al-Koni
Marabout - Ibrahim al-Koni
University of Maryland - Mano Dayak
American University - die Tuareg-Konflikte
Tinariwen