Beispiel Département Savoie
Industrie in den Alpen
Zwei Drittel der Menschen, die in den Alpen leben, leben in Städten. Der Raum Chambery-Grenoble ist größte Agglomeration in den Alpen mit rund einer Million Einwohnern. Im Département Savoie ist trotz der Berge ringsum reichlich Industrie angesiedelt.
8. April 2017, 21:58
Steht man am Boulevard de la Colonne in Chambéry, wo die Einheimischen Einkäufe erledigen oder zwischen den Alleebäumen auf den Bus warten, glaubt man gar nicht, dass man sich in den Alpen befindet. Chambéry, die Hauptstadt des französischen Département Savoie, liegt ja auch nur auf 270 Metern Seehöhe.
Alteingesessene Betriebe
Der Wintersport ist ein wichtiger Wirtschaftszweig in der Savoie. Der Tourismus sorge für 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Département, erklärt die Bürgermeisterin von Chambéry, Bernadette Laclais. In der Stadt Chambéry spiele der Tourismus jedoch eine geringere Rolle, sagt Bernadette Laclais. Bedeutender seien die Industrie und der Dienstleistungssektor.
"Chambery ist ein Bahnknoten und das erklärt, warum es hier eine so starke industrielle Entwicklung gegeben hat", erklärt Laclais. "Im Bereich Lebensmittel haben wir zum Beispiel heute noch den größten Teigwarenproduzenten von Frankreich bei uns oder die Kaffee-Rösterei Folliet, das ist heute einer der wichtigsten Konzerne in Frankreich, der viele andere Kaffeefirmen übernommen hat."
Auch österreichische Unternehmen
In der Savoie vertreten sind auch österreichische und deutsche Firmen, die Produkte für den Wintersport herstellen, wie der Entwickler von Liftzugangssystemen Skidata, die Seilbahnfirma Doppelmayr oder der Pistenraupen-Produzent Kässbohrer. Die Bürgermeisterin hält es auch für wichtig, zu betonen, dass die Region sehr zeitgemäße Firmen beheimate und ergänzt:
"Wir haben auch große Firmen, die mit der Geschichte unseres Departments verbunden sind, wie zum Beispiel den Aluminiumhersteller Pechiney, der hier noch eine Anlage betreibt und neue Kühlaggregate entwickelt hat für die neue, energiesparende Generation von Kühlschränken."
Noch eine Anlage betreibt, sagt Bernadette Laclais, denn die Traditionsfirma Pechiney, die seit mehr als 100 Jahren in der Savoie existiert und der erste Industriekonzern Frankreichs war, wurde vor fünf Jahren von der kanadischen Alcan-Gruppe "feindlich übernommen", wie das im Wirtschaftsjargon heißt. Und in solchen Fällen weiß man ja nie, ob der Standort nicht plötzlich geschlossen wird und die 600 bis 700 Arbeitsplätze futsch sind.
Technologiepark mit Schwerpunkt Umwelt
Schon vor 20 Jahren hat sich die Verwaltung des Département dazu entschlossen, die wirtschaftliche Basis der Region zu verbreitern. Damals wurde auf dem ehemaligen Luftwaffen-Gelände am Lac du Bourget, zwölf Kilometer nordwestlich von Chambéry, ein Technologiepark gegründet: der Savoie Technolac mit 77 Hektar Fläche, die locker mit niedrigen Gebäuden besiedelt sind. Von Beginn an wurde auf Innovation gesetzt, deshalb wurde bewusst eine Mischung aus Start-Up-Firmen, die im sogenannten Inkubator bei der Firmengründung unterstützt werden, aus gut situierten Unternehmen, den naturwissenschaftlichen Instituten der Universität Savoie und anderen Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen angestrebt.
Wegen der Lage in den Alpen und direkt am größten natürlichen See Frankreichs haben sich Staat und Département entschieden, Savoie Technolac den Schwerpunkt Umwelt zu geben - einerseits bei der Auswahl der Firmen und Institute, andererseits bei der Gestaltung des Geländes.
Fast ein Uni-Campus
Etwa 200 Unternehmen arbeiten mittlerweile im Savoie Technolac, ihre Größe reicht vom Ein-Personen-Start-Up bis zum Wasserkraftzweig von Electricité de France mit 300 Mitarbeitern. Insgesamt sind 3.000 Leute in Savoie Technolac beschäftigt, dazu kommen 5.000 Studenten und Professoren an den Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen.
Die Durchmischung und die Art der Anlage erzeugen ein Gefühl, als ob man sich auf einem Uni-Campus befinden würde - und genauso locker laufen auch die Kontakte untereinander ab, zeigt sich bei der Besichtigung des Geländes mit Benjamin Rosier, dem Projektmanager der Wirtschaftsförderungsagentur. Wir treffen zufällig einen Jungunternehmer und die beiden vereinbaren ein Mittagessen für nächste Woche. Kein Wunder, dass die meisten, die hier ihre Firma starten oder einen Job bekommen, nicht mehr weg wollen, und manche sogar Paris hinter sich lassen für die Savoie, wie Benjamin Rosier erzählt: "Jährlich investieren hier etwa zehn neue Firmen, darunter im Schnitt zwei Firmen, die aus Paris kommen, (...) weil sie eine höhere Lebensqualität wollen. Und natürlich finden sie hier auch einen Markt, sonst würden sie nicht kommen."
Wenn man sich in Bourget-du-Lac oder in Chambéry umsieht, stellt man rasch fest, dass die Menschen hier zur Kategorie "entspanntes Bergvolk" gehören. Man ist hier wesentlich stressfreier unterwegs als in Paris und um einiges lässiger gekleidet. Skifahren, Wandern, Segeln oder Rad fahren sind die üblichen Freizeitbeschäftigungen.
Solarstadt von Frankreich
Die Region fördert Mülltrennung, Umweltschutz und Solarenergie und setzt sich für den Ausbau der Bahn ein. Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs sei wichtig für den Schutz der Alpen und für das Image der Stadt, meint Bürgermeisterin Bernadette Laclais:
"Für Firmen aus dem Bereich erneuerbare Energie ist es sehr wichtig, dass die Umgebung zum Selbstbild der Firma passt. Die Savoie und Chambéry haben deshalb viel getan, um ein Beispiel für nachhaltige Entwicklung zu werden. Wir in Chambéry sind auch stolz darauf, dass wir schon das vierte Jahr in Folge den Titel 'Solarstadt von Frankreich' erhalten haben."
Die Vielfalt erhalten
Die Region Savoie hat aber auch Nachteile: Die Berge bilden eine natürliche Beschränkung für die Ansiedlung von Firmen und Arbeitskräften. Weil der Platz knapp ist, sind die Preise für Wohnungen und Grundstücke hoch. Schuld daran seien auch die Betreiber der großen Skiressorts, sagt Alexandre Mignotte, Geschäftsführer der Alpenschutzkommission CIPRA in Frankreich mit Sitz in Grenoble.
Die riesigen Hotel- und Pistenanlagen in den französischen Alpen seien ab den 1960er Jahren mit dem nationalen "Schneeplan" forciert worden und hätten der Grundstücksspekulation Tür und Tor geöffnet. Sie würden außerdem eine Menge Ressourcen verbrauchen und völlig abgekoppelt von der lokalen Landwirtschaft, dem Handwerk und der Bevölkerung agieren. Dieser "Offshore-Tourismus", wie Alexandre Mignotte es nennt, würde auf die Dauer die Vielfalt der Region gefährden:
"Die französischen Alpen sind sehr heterogen und eine der Hauptaufgaben von CIPRA ist, diese Vielfalt zu erhalten, denn die biologische, aber auch die kulturelle Vielfalt ist der große Reichtum der Alpen."
Um diesen Reichtum zu erhalten, müsste sich auch der Tourismus in Richtung Nachhaltigkeit verändern, fordert Alexandre Mignotte. Außerdem müssten auch Innovationen unterstützt werden, die nicht in erster Linie technischer Natur sind, sondern soziale und kulturelle Innovationen.
Mehr zu den Alpen in oe1.ORF.at
Ein New Yorker auf Wanderung
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Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 26. Juli 2008, 17:05 Uhr
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Savoie Technolac