Pikante Details und ungeklärte Fragen

Der "Fall Fritzl" auf serbisch

In den Tagen, die nach der Verhaftung von Radovan Karadzic vergangen sind, haben sich die Medienberichte genauso entwickelt, wie das immer in solchen Fällen ist. Pikante Details werden enthüllt, die wichtigsten Fragen bleiben aber unberührt.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie die Berichterstattung der Medien einem gewissen, vorhersehbaren, einfachen Muster folgen. Der Amstettner "Fall Fritzl" und seine mediale Bearbeitung mag als jüngste Referenz für - im weitesten Sinne - ähnliche, kriminelle, psycho-pathologische "Fälle" dienen. Man entdeckt einen höchst ausgefallenen Verbrecher und dann läuft alles nach Plan.

Am Tag der Entdeckung bemühen sich die Zeitungen und die Radio- und Fernsehsender, die die Nachricht verschlafen haben, das Manko auszugleichen. "Der Inzest-Fall Amstetten" oder wie im konkreten Fall "Radovan Karadzic erfasst" ist in kaum variierter Form überall zu lesen.

Die nächsten Tage bringen krampfhafte Versuche, alles Pikante über den Vorfall zu entdecken, das den Mitbewerbern verborgen geblieben ist. Man beschreibt mit wem allem der Täter (es kann auch eine Täterin sein) verkehrt hat, was er/sie gegessen und getrunken hat, wo er/sie Urlaube gemacht hat, man erfährt alles über die Hobbys und Gewohnheiten und an einer ausführlichen Biografie fehlt es nicht.

Niemand versteht, wieso die Monster so lange unbemerkt zwischen uns, als brave, manchmal sogar sympathische, Nachbarn leben konnten. Noch ein Paar Tage und die tapferen Journalisten entdecken, dass das Bild doch nicht so unbefleckt war. Sie finden Ereignisse im Benehmen der Täter, die auf ihre wahre Natur hindeuteten hätten können. Das alles dauert noch ein bisschen und schon ist die Neugier der Konsumenten gesättigt. Der Fall zerstiebt bis zum endgültigen Vergessen – bis zum nächsten Untäter.

Das Doppelleben der "Monster"

Die Titel der Berichte sind zumeist ebenfalls identisch. "Das Doppelleben des Josef Fritzl" diente auch als Tenor der Reporte über die Verhaftung, des meistgesuchten vermutlichen Kriegsverbrechers der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa, Radovan Karadzic – "Das geheimnisvolle Leben von Dragan David Dabic" (der Name hinter dem sich Radovan Karadzic in seinem "geheimnisvollen Leben" versteckt hat) schreibt die bosnisch-herzegowinischen Wochenzeitung "Dani" ("Die Tage").

Dieser Titel aus "Dani" ist charakteristisch für alle anderen Darlegungen. Was haben wir in dieser Woche seiner Verhaftung erfahren? Wir wissen jetzt, dass Karadzic seit Jahren als "Heiler" in Belgrad gelebt hat. Er hat eine Geliebte, Mila heißt sie, sie ist 51 Jahre alt, sie hat einen Sohn und sie sieht gut aus: "Karadzic hat einen guten Geschmack gehabt, wenn es um Frauen geht", behauptete in seinem Titel das kroatische "unabhängige News und Lifestyle Portal Index".

"Ich bin Dragan Dabic"
Der gleichen Quelle, "Index", zufolge war sie eine Frau, "die ein bisschen freizügiger gelebt hat und sie war sehr gesellig" – ein Foto ist auch dabei. Weiter: Es ist uns inzwischen bekannt geworden, dass "Karadzic sich hinter dem Namen Dragan Dabic versteckt hat" und dass er sich falsche Dokumente auf den Namen Dabic schon seit 10 Jahren vorbereitet hat und dass der "Personalausweis auf den Name eines toten Soldat" ausgestellt wurde. Dann ist plötzlich die Überschrift zu lesen: "Ich bin Dragan Dabic, der Maurer aus Ruma (eine Stadt in Serbien)". Für den Mauerer ist seine Stunde des Ruhmes bekommen. Man schreibt über ihn und - nach einigen Berichten - kassiert er Geld für die Informationen über sein bis dato für die Medien uninteressantes Leben.

Die Reisen
Es ist bekannt geworden wo es den Arzt überall hingezogen hat. "Slobodna Dalmacija" ("Freies Dalmatien") aus Split: "Radovan Karadzic hat 2006 die Sommer auf Ciovo (eine Insel in der Nähe von Split) verbracht". Eine Fotomontage mit Karadzic im Vordergrund und dem idyllischen dalmatinischen Ort hinter ihm ist beigelegt. Aus bosnisch-herzegowinischen Medien ist zu lesen, dass "Radovan durch ganz Bosnien spaziert ist". "Blic", "die meistgedruckte Zeitung in Serbien", bringt sogar, dass "Karadzic auch in Wien Patienten behandelt hat". Diese Nachricht stammt übrigens, nach Blic, aus der Tageszeitung "Kurier" vom 24. Juli 2008: "Karadzic, der Wunderheiler von Wien".

Nichts Originelles
Und noch immer sind wir nicht zur Erklärung gekommen, wieso er so lange unter uns unbemerkt verkehren konnte. Diese, fast zur Sympathie neigenden Geschichten über einen ungreifbaren "Helden", werden von der kroatischen Wochenzeitschrift "Nacional" mit Titeln wie "Das Ende der unendlosen Flucht von Karadzic" und "Karadzic ist nicht originell" relativiert. Der Autor des Textes erinnert nicht ohne Freude an Saddam Hussein, der auch mit den langen Haaren und Bart, wie Karadzic, erwischt wurde.

Stolz! Worauf?
Wenn man die serbischen Medien durchgeht, kann man nicht sehen, warum eigentlich gegen Karadzic Anklage erhoben worden ist. Interessanterweise kann man über die Geschehnisse wegen deren er vom Kriegsverbrechenstribunal in Den Haag seit 1995 gesucht wwird, überhaupt nichts lesen. In einem Gespräch für die Zeitschrift "Danas" ("Heute") aus Novi Sad in Vojvodina äußerte sich Slavica Djukic Dejanovic, die serbische Parlamentspräsidentin und Vizevorsitzende der Sozialistischen Partei sie sei "sehr traurig wegen die Verhaftung von Karadzic." In "Danas" kann man auch die Aussage des Anwalts von Karadzic, Svetozar Vujacic, lesen: "Karadzic ist stolz darauf, was er gemacht hat!"

Worauf er eigentlich stolz sein könnte ist nicht genauer erklärt. Über die Ereignisse schreibt man nicht.

Wessen Problem?
In dieser ganzen Geschichte scheint, dass der echte Dragan Dabic mit seiner Einstellung gegenüber den Geschehnissen um sein berümtes alter ego der ehrlichste war. Die Belgrader Tageszeitung "Politika" zitiert ihn mit folgendenn Worten: "Es kommt mir lächerlich vor, dass ich ein Arzt geworden bin. Ich, der Unglückliche, habe Sorgen, wie man mit meiner Pension überleben kann. Ich habe überhaupt nichts mit Dr. Radovan Karadzic gemeinsam und ich habe ihn nie in meinem Leben gesehen. Ich verstehe von Politik überhaupt nichts und kann diese Geschichte nicht beurteilen. Ich nehme ihm übel, dass er nicht nach Den Haag gegangen ist und dort nicht gesagt hat, was er zu sagen hatte, egal was danach passieren sollte. So hat er sich hinter einem fremden Namen, unabhängig davon, dass dieser Name meiner ist, versteckt. Alles andere ist sein Problem."

Die Berichte über die Verhaftung von Radovan Karadzic, alias Dragan Dabic, lesend, überrascht nicht, dass der echte Dabic "alles andere" nur als Problem von seinem Doppelgänger sieht. Wie könnte es anders sein?

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