Populär ohne Kitsch

Verdi-Bariton und Liederfürst

Heinrich Schlusnus war ein Künstler, der die seltene Gabe besessen hat, mit der Menschlichkeit und Wärme seiner Interpretationen die Herzen seiner Zuhörer auf direkte Weise erreichen zu können.

Eine Stimme kam über den Rhein, die Stimme war von der Schönheit des Lebens getragen, ein Wunder in ihrem Klang. Es wohnten in ihr der Schmerz und die Fröhlichkeit, die Trauer, dass immer vergehen musste, was unvergänglich schien, das Glück der Liebe und die Freude auf dieser Erde da zu sein. Es war die Stimme eines Mannes, der um das Geheimnis wusste, in das wir verstrickt sind, die Stimme eines Menschen, der die Verstrickungen gelöst hat, weil Gott ihm eine kindliche Seele gab, die noch die Welt in ihrer Unschuld entdeckte. Das war die Stimme eines, der Heinrich Schlusnus gewesen ist und der in seiner Stimme leben wird, bis noch das letzte Lied auf der Erde stirbt.

Mit diesen Worten beginnt Eckart von Naso seine Biographie über Heinrich Schlusnus, und damit ist schon sehr viel über die Persönlichkeit dieses Jahrhundertkünstlers gesagt. Eines Künstlers, der die seltene Gabe besessen hat, mit der Menschlichkeit und Wärme seiner Interpretationen die Herzen seiner Zuhörer auf ganz direkte Weise erreichen zu können und das insbesondere in einer Zeit der Schrecknisse und Schicksalsschläge, die ihn auch persönlich mit voller Härte getroffen haben, etwa im Februar 1943, als sein Sohn als Artillerist in Russland gefallen ist.

Im Zeichen des Posthorns

Blenden wir 120 Jahre zurück, zum 6. August 1888. An diesem Tag wurde Heinrich Schlusnus in Braubach am Rhein geboren. Sein Vater war dort Bahnbeamter, dort ist er zusammen mit sieben Geschwistern auch aufgewachsen. Die Verhältnisse waren bescheiden, vor allem nach dem frühen Tod des Vaters, also musste er rasch einen Posten suchen, möglichst etwas Sicheres, kurzum: Heinrich Schlusnus landete bei der Post, wurde kaiserlicher Postassistent, was ihn aber nicht gehindert hat, bei jeder sich bietenden Gelegenheit das zu tun, was er schon von Kindheitsbeinen an besonders gern getan hat, nämlich zu singen.

1912 hat er das dann erstmals vor einem größeren Auditorium getan, nämlich bei einem "Konzert des Verbandes der mittleren Post- und Telegraphenbeamten" in Frankfurt, wo er mit einem seiner späteren Parade-Stücke reüssiert hat: mit dem Lied an der Abendstern aus Richard Wagners Tannhäuser Wagners Tannhäuser.

Statt zur Bühne zum Militär

Bis zu seinem Bühnendebüt aber galt es noch eine Reihe von Hindernissen zu überwinden, von denen das größte wohl der Erste Weltkrieg gewesen ist. Eine schwere Beinverletzung setzte seinem Soldatendasein schließlich ein vorzeitiges Ende. Das hat ihm die Möglichkeit gegeben, ein Engagement an der Hamburger Oper anzutreten, das er bereits bei Kriegsausbruch in der Tasche hatte.

Andererseits aber war diese Beinverletzung (ein Bein wurde dadurch um fünf Zentimeter verkürzt) auch der Grund dafür, dass Schlusnus als Bühnenkünstler immer als etwas gehemmt gegolten hat und dadurch sein Rollenfach auch eingegrenzt gewesen ist. Seine große Wirkung kam also in erster Linie immer von seiner Stimme, einer Stimme, die wie eine Orgel dahinströmte und auch ohne große theatralische Ausbrüche stets alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.

Durchbruch in Berlin
Doch der eigentliche Durchbruch kam erst mit seinem Engagement an die Königliche Oper in Berlin, wo er erstmals am 12. Oktober 1916 gastiert hat und die in der Folge seine künstlerische Heimat wurde. Anfangs ist er zwar noch im Schatten berühmter Kollegen gestanden, insbesondere des auch schauspielerisch gerühmten Baritons Joseph Schwarz, doch dauerte es nicht allzu lange, bis die Berliner die ganz speziellen Vorzüge von Schlusnus erkannt haben.

In erster Linie waren es dabei die Väter-, Freunde- und Brüder-Rollen, mehr oder weniger also edle Charaktere, die ihm besonders gelegen sind, während er reinen Schurkenrollen lieber aus dem Weg gegangen ist, steckte doch zuwenig Komödiantisches in ihm, um derartige Partien richtig auszuspielen.

Im Zentrum Verdi
Eine zentrale Stellung in seinem Repertoire haben daher die einschlägigen Verdi-Rollen eingenommen: Rigoletto, Luna, Germont, René im Maskenball, Posa in Don Carlos, Monfort in der Sizilianischen Vesper oder auch der in seinem Ehren-Wahnsinn fehlgeleitete Don Carlos in der Macht des Schicksals.

Die damals gerade aufkommende Verdi-Renaissance in Deutschland kam ihm dabei sehr gelegen, wenn wir in seinem Repertoire natürlich auch viele andere interessante Rollen finden: Wolfram und Amfortas, Figaro in Rossinis Barbier, Valentin in Faust und viele andere.

Neue Gesangstechnik
Eine in mehrfacher Hinsicht schicksalshafte Begegnung brachte ihn schließlich mit dem amerikanischen Gesangspädagogen Louis Bachner zusammen, der in den 20er Jahren in Berlin eine ganze Reihe prominentester Schüler hatte. Einer davon war bald auch Heinrich Schlusnus, der sich mitten in seiner bereits großen Karriere plötzlich mit Hilfe von Bachner eine völlig neue Gesangstechnik erarbeitete, was absolut kein geringes Risiko darstellte.

Dennoch: Bachners Methode gab Schlusnus ein ganz neues Gefühl der Sicherheit. "Louis Bachner" meinte Schlusnus, "hat mir die Freiheit der Stimme gegeben, meine Stimmtechnik und das Verständnis für das richtige Singen. Was ich bin, verdanke ich ihm."

Neue Frau
Was Schlusnus damit gemeint hat, können wir anhand seiner Schallplatten gut nachvollziehen, bestehen doch zwischen seinen frühen Aufnahmen und seinen späteren, also nach 1929, deutlich hörbare Unterschiede, auch wenn manche Gesangsexperten nicht nur Positives aus Bachners Methode heraushören wollen und zwar nicht nur im Falle Schlusnus, für den die Begegnung mit Louis Bachner darüber hinaus auch eine private, menschlich nicht einfache Facette nach sich gezogen hat: schließlich wurde Bachners Gattin Annemay 1933 Ehefrau Nummer zwei von Heinrich Schlusnus, während der Jude Bachner wieder in die Staaten zurückgegangen ist, wo er 1945 starb.

Weltkarriere als Liedinterpret
International hat Heinrich Schlusnus vor allem als Liedersänger reüssieren können: insgesamt etwa 2.000 Liederabende hat er zwischen 1918 und 1951 gegeben, und dementsprechend reichhaltig ist auch sein diesbezüglicher akustischer Nachlass - zumindest auf die damaligen Zeiten bezogen, wobei es in Bezug auf seinen Interpretationsstil natürlich reichlich Diskussionsstoff gibt.

Mag sein, dass ihm seine Nachfolger in der intellektuellen Durchdringung der Texte überlegen waren oder sind. Was allerdings Stimmschönheit, Schlichtheit, Natürlichkeit und vor allem ungekünstelte Freude am Singen angeht, wird Schlusnus zumindest in seiner Stimmlage in jedem Fall die Nase vorne haben.

Auf der Anklagebank
Naziregime und Krieg haben Heinrich Schlusnus unheilbare Wunden geschlagen. Von seinem gefallenen Sohn war schon die Rede, der Sohn seiner Frau aus der Ehe mit Bachner (und damit Halbjude) musste - damals noch ein Kind - in die Schweiz emigrieren, sein Berliner Heim ging verloren, und als der Spuk endlich vorüber schien, fand er sich plötzlich auf der Anklagebank wieder. Immerhin war er 1935 zum Reichskultur-Senator ernannt worden und wer wollte nun glauben, dass dies mehr oder weniger nur eine Farce gewesen war.

Es folgten ein Jahr und neun Monate Zwangspause, bis endlich die Spruchkammer zur Überzeugung kam, "dass es sich hier um einen Mann handelt, der grade und aufrecht seinen Weg ging, den ihm sein Inneres vorschrieb, und allen Versuchungen, die an ihn in viel größerem Maße herantraten, als an manchen anderen, standhielt und sich von den Verlockungen des Nationalsozialismus nicht einfangen ließ."

Abschied und Tod
Wohl waren ihm jetzt noch einige aktive und auch sehr erfolgreiche Jahre gegönnt, doch sein Herz war physisch so geschädigt, dass eigentlich keine Chance mehr auf dauerhafte Heilung gegeben war.

So hieß es also Abschied nehmen: zuerst von der Oper, bald darauf auch vom Konzertsaal. Im April 1951 gab Heinrich Schlusnus in Hannover seinen letzten Liederabend, stand er zum letzten Mal im Studio. Am 18. Juni 1952, nicht einmal 64 Jahre alt, ist Heinrich Schlusnus in Frankfurt am Main gestorben.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 5. August 2008, 15:06 Uhr