Bücher aus dem Hohen Norden
Schreiben mit kalten Fingern
Bücher aus dem Hohen Norden bringen den Hauch von kühler Luft in heiße Sommertage, was nicht der einzige Grund wäre, sich geistig ins Land des Winters zu begeben. Die eisgewohnten Schriftsteller bieten mehr als kühlende Erfrischung: nämlich Qualität.
8. April 2017, 21:58
Für das Leben im Norden muss man geboren sein, heißt es. Dass sich ein Sohn der heißen Sonne, den die heiligen Pythons als künftigen Hohepriester ausgewählt hatten, für ein Leben in Grönland berufen fühlte, erstaunte erst seine Eltern und Lehrer und später seine Leser.
Tété-Michel Kpomassie war 24, als er seine Reise - oder besser: seine Flucht - aus der für ihn vorgesehenen Laufbahn in Togo geschafft hatte und endlich das Land seiner Sehnsucht kennen lernte. Mit allem, was dazugehört: engen Freundschaften, allen Varianten seltsamen Essens, Einsamkeit und Arktiskoller. Bis die unausweichliche Frage "Was mache ich eigentlich hier?" eine Antwort forderte.
Kpomassie kehrte zurück, in der Hoffnung, seinen schwarzen Brüdern zu helfen, "sich der Außenwelt aufzuschließen", wie er in seinem Buch schreibt. Erst in jüngster Zeit war er wieder "oben": gemeinsam mit anderen Reiseschriftstellern besuchte er den Norden Norwegens.
Der dänischen Heimat entfliehen
Zum Pendler zwischen Arktis und Tropen wurde auch der dänische Schriftsteller Jorn Riel, aber erst, nachdem er 16 Jahre in Grönland gelebt hatte und dort überhaupt erst zum Schriftsteller geworden ist. Er kam als 20-Jähriger, weil er dem Mief seiner dänischen Heimat entfliehen wollte.
Irgendwann zwischen den Wetterbeobachtungen und Gletschervermessungen begann er, einfach um sich und die anderen zu unterhalten, die Geschichten, die unter den Bären- und Robbenjägern kursieren, aufzuschreiben. Mehr als 40 Bücher hat Jorn Riel über das Leben im Norden veröffentlicht, das freilich nicht immer so fröhlich ist, wie es viele von Riels Geschichten suggerieren.
Sibirische Geschichten
Vom harten Leben der Tschuktschen im äußersten Osten Sibiriens erzählt auch Juri Rytcheu in seinen Büchern. Es sind Geschichten aus der tschuktschischen Mythologie, aber auch Begebenheiten der jüngeren Geschichte, etwa dem Einbruch des Kommunismus in die karge Welt der Rentierzüchter. Rytcheu war in der Sowjetunion staatlich geförderter Nationalschriftsteller, deshalb musste oder wollte er einige seiner Romane, die noch vor der Perestroika erschienen sind, umarbeiten. Er wagte erst in seinen letzten Jahren, Partei für die alte Religion und die Lebensweise seines Volkes zu ergreifen.
Die Aleuten-Saga
Zwischen Asien und Amerika liegen die Aleuten, eine Inselkette, die Geologen als den letzten Rest der Brücke zwischen den Kontinenten betrachten. Sie wurden 1741 von Vitus Bering entdeckt und gerieten in den Folgejahren ins Visier der großen Mächte, die die natürlichen Reichtümer abtransportierten und den Menschen dort Hunger und Elend, Krankheit und schließlich den Tod brachten. Anfang der 1960er Jahre schrieb der kanadische Autor Allen Roy Evans die tragische Geschichte dieser Inseln und ihrer Bewohner nieder: "Attu - Die Aleuten-Saga" gehört sicher zu den berührendsten Zeugnissen arktischer Literatur.
Kühlende Schauer bieten die teilweise reich mit Fotos ausgestatteten Reiseberichte, oder auch die zahlreichen Sammlungen von Mythen und Legenden. Und in den letzten zehn Jahren haben Arktis-Krimis Interesse erweckt. Der in Alaska geborene Stan Jones zum Beispiel lässt einen "Alaska Native", einen Inupiat, als Polizist in verschiedenen Fällen ermitteln.
Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 14. August 2008, 11:40 Uhr
Buch-Tipps
Tété-Michel Kpomassie, "Ein Afrikaner in Grönland", Piper Verlag
Jorn Riel, "Das Haus meiner Väter", Unionsverlag
Jury Rytcheu, "Teryky. Eine Tschuktschenlegende", Unionsverlag
Allen Roy Evans, "Attu - Die Aleuten-Saga", Unionsverlag