Drei verzahnte Geschichten

Die Schatten der Ideen

Klaus Modick beginnt seinen Text im Stil eines College-Romans, dann entwickelt sich die Erzählung zu einem Geschichtskrimi, um schließlich als veritabler Agententhriller zu enden. Vor allem aber werden hier mehrere Geschichten ineinander verzahnt erzählt.

Den Titel seines Romanes hat Klaus Modick von dem italienischen Renaissancephilosophen Giordano Bruno übernommen: "Die Schatten der Ideen" nannte Bruno 1582 eine seiner Schriften, die ihm, gemeinsam mit seinen anderen Werken, den Ruf eines Häretikers einbrachte. Der streitbare Dominikanermönch vertrat ein Weltbild, das viele Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften vorwegnahm, das aber der damals gültigen kirchlichen Lehrmeinung widersprach. Als Magier verleumdet und von der Inquisition als Ketzer verurteilt, wurde Bruno 1600 in Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

In der McCarthy-Ära vor Gericht

350 Jahre später wird einem Wissenschaftler die Beschäftigung mit Brunos Lehren zum Verhängnis - diesmal allerdings nicht in der Realität, sondern in der fiktiven Welt von Modicks Roman. Es ist der deutsch-jüdische Historiker Julius Steinberg, der Mitte der 1930er Jahren vor dem Naziterror in die USA geflohen war, später eine Stelle am kleinen Centerville College im Bundesstaat Vermont bekommen hatte - und 1950, während der McCarthy-Ära, wegen angeblich "unamerikanischer Umtriebe" vor Gericht gestellt wurde.

Verdächtig war er allein schon durch die Tatsache, dass er zu Beginn seiner Zeit im Exil, mangels anderer Jobs, als Barkeeper in einem Lokal gearbeitet hatte, das einem Gewerkschaftsfunktionär gehört hatte. Das Material für eine Denunziation durch missgünstige Kollegen lieferte dann aber ein Seminar über Giordano Bruno.

Who is George Bruno?

"Ist es zutreffend, dass Sie diesen Mr. Bruno mehrfach als Revolutionär bezeichnet haben? Wörtlich sollen Sie gesagt haben: Bruno war ein Revolutionär, vor dem die Autoritäten von Staat und Kirche mehr Furcht hatten, als er vor ihnen. Haben Sie dergleichen im Unterricht gesagt?"

Steinberg hatte es gesagt - wenn auch keineswegs, wie der Ermittlungsbeamte suggerieren will, gemünzt auf die politische Situation in den USA. Dennoch reicht es für eine Verurteilung in einem absurden Verfahren mit Richtern, die keine Ahnung haben, wer dieser, wie sie sagen, "George Bruno" eigentlich war.

"Trifft es zu, dass Sie im Unterricht gesagt haben, der Prozess gegen Mr. Bruno zeige Parallelen und Analogien zu den Verfahren und Anhörungen, die unsere Ausschüsse durchzuführen haben?" - "Nein, Sir, das habe ich mit Sicherheit nicht gesagt! Allerdings kann ich meine Studenten nicht daran hindern, ihre eigenen Interpretationen und Schlussfolgerungen zu ziehen."

Nur keine politische Meinung vertreten

Rund 50 Jahre später, 2003, während des Irakkrieges, bringt all dies den deutschen Schriftsteller Moritz Carlsen in arge Bedrängnis. Er erhält das Angebot, für zwei Semester als "Writer in Residence" an das Germanistikinstitut des Centerville College zu kommen und nimmt gerne an - auch deshalb, weil er hofft, dass sich mit dem Ortswechsel jene Schreibblockade, die ihn seit einiger Zeit quält, lösen werde. Die Stimmung am College wirkt freundlich, kameradschaftlich - Carlsen allerdings wird gewarnt, die scheinbare Offenheit des universitären Betriebes zu überschätzen. Offen politische Meinungen zu vertreten sei, so belehrt ihn ein Kollege, in den USA der Bush-Ära nicht unbedingt opportun.

"Wir hier im stillen akademischen Winkel predigen Diversity und Toleranz und Liberalität. Unsere Politik praktiziert das Gegenteil. Wer liberal denkt, gilt als links, wer links ist, kann kein Patriot sein, und wer kein Patriot ist, unterstützt den Terrorismus. Das ist die Logik der Leute, die uns regieren, obwohl wir sie nicht gewählt haben."

Verleumdung, Bespitzelung und Vertuschung

Wie leicht man in einem solchen System zum Verdächtigen werden kann, muss Carlsen bald erfahren. Durch Zufall stößt er auf die - verloren geglaubten - Aufzeichnungen von Julius Steinberg. Er beginnt sich für dessen Biografie zu interessieren - zunächst nur, weil er darin endlich Stoff und Inspiration für ein neues Buch zu finden hofft. Tatsächlich stößt er auf eine dramatische Geschichte von Verleumdung, Bespitzelung und Vertuschung und merkt gar nicht, dass er mit seinen Recherchen selbst in die Fänge der Sicherheitsdienste gerät.

Klaus Modick beginnt seinen Text im Stil eines College-Romans, dann scheint sich die Erzählung zu einem Geschichtskrimi zu entwickeln - um schließlich als veritabler Agententhriller zu enden. Vor allem aber werden hier mehrere Geschichten ineinander verschachtelt und verzahnt. Es ist dies ein erzählerisches Verfahren, das Modick bereits in früheren Werken erfolgreich angewandt hat und dessen er sich auch diesmal souverän bedient.

Fülle von Informationen

Modick ist ein detail- und faktenfreudiger Autor, und eine solche Konstruktionsweise ermöglicht es ihm, in schlüssiger Weise eine Fülle von Informationen in den Text einzubringen, ohne dass dieser dadurch überladen wirkt.

So etwa wird das Drama um Julius Steinberg jeweils abwechselnd, kapitelweise, zu den Vermont-Erlebnissen von Moritz Carlsen aufgerollt. Und zwar, wie es zunächst scheint, durch den Abdruck der Original-Notizen und Briefe Steinbergs. Allerdings enthalten diese viele historische Informationen, die zwar für heutige Leser zum Verständnis nötig sind, die aber Steinberg selbst wohl nie in private Aufzeichnungen eingefügt hätte. Plausibel wird dies allerdings dadurch, dass der Leser erfährt, dass die abgedruckten Texte jene Version sind, die Moritz Carlsen - als Materialsammlung für einen geplanten Roman - in den Computer tippt.

Indem er aus Steinbergs Manuskript exzerpierte, veränderte er Formulierungen, ließ aus, fügte hinzu. Er hatte begonnen, sich Steinbergs Manuskript nicht nur materiell, sondern auch geistig anzueignen.

Autor mit dezidierter Haltung und Meinung

Genau das gibt ihm - als deutlich erkennbares Alter Ego von Klaus Modick - die Möglichkeit, über geschickt eingefügte Verweise, Vergleiche und Analogien auch viele Reflexionen zu den unterschiedlichsten Themen einzubringen. Und Modick ist ein Schriftsteller, der über seine Texte stets auch sehr dezidierte Haltungen und Meinungen transportiert. Das reicht von literaturwissenschaftlichen bis zu politischen Fragen - so etwa im aktuellen Buch von den Bedingungen des literarischen Übersetzens bis zu Bedrohung der Freiheit durch Dogmatismus und totalitäre Tendenzen.

Durchaus schlüssig ist es auch innerhalb dieser Struktur des Buches, dass Carl Zuckmayer als Romanfigur auftritt. Der Dramatiker war während der Nazizeit in Vermont im Exil gewesen - in Modicks Buch wird er zu einem engen Bekannten von Julius Steinberg.

Manch anderer Autor hätte aus all dem vorhandenen Stoff zwei oder drei Romane gemacht - Klaus Modick hat daraus ein überaus dichtes, ebenso informierendes wie inspirierendes und vor allem sehr packendes Werk geschaffen.

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 22. August 2008, 16:30 Uhr

Ex libris, Sonntag, 24. August 2008, 18:15 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Klaus Modick, "Die Schatten der Ideen", Eichborn Verlag