Eine mehrdeutige Streiterei über die Farbe Grün

Bosnisch-herzegowinische Farbenlehre

In Sarajewo haben sich die Stadtverantwortlichen entschieden, manche Gehsteige grün einzufärben. Diese Entscheidung traf auf Proteste von einigen nicht-muslimischen Einwohnern der Stadt. Es entwickelte sich eine Diskussion über die Farbe Grün.

Wer kennt sie nicht, die Farben seiner Heimat. Dabei wird nicht an irgendwelche Farben gedacht, die man in der "charakteristischen" Landschaft des jeweiligen Staates finden kann. Hier wird an die Farben gedacht, die ihren Platz in Wappen, Fahnen, Hymnen und Gedichten gefunden haben.

Die tatsächlichen Hintergründe, warum gewisse Farben für eine Gruppe stärkere Bedeutung haben als andere und stärkere Emotionen bei ihren Mitgliedern provozieren, sind sehr schwer zu eruieren. Man lernt in der Schule, warum die Fahne seiner Heimat gerade diese Farben hat. Es wird versucht, den Jungen alle möglichen symbolischen Deutungen darzustellen und wirklich, man muss doch zustimmen, "unsere" Farben erzeugen einen höheren emotionalen Zustand als die anderen, "fremden" Farben.

Das Grün

Abgesehen davon, was die unterschiedlichen Farben alles bedeuten: einer Farbe geht es in dieser Farbenwelt sehr schwer - dem Grün. In Europa haben zwei Staaten das Grün als ihre Identifikationsfarbe in Anspruch genommen - Irland und Slowenien. Beide finden diese Farbe charakteristisch für ihre Landschaft und so beanspruchen Iren wie auch Slowenen das Grün als ihre "Nationalfarbe". So weit, so gut. Aber auch die Menschen aus einem ganz anderen "Kulturkreis", einem nicht-"westeuropäisch-katholischen" wie die Iren und Slowenen, hängen am Grün - nämlich die Muslime.

Die Farbe des Propheten

"Grün ist die Farbe des Propheten Muhammad, Friede sei mit ihm", steht auf der Web-Seite der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. "Denn er bevorzugte diese Farbe bei der Wahl seiner Kleidung und auch als Farbe seiner Standarte. Die Moschee in Medina, in der er begraben ist, erhielt bald nach seinem Tode ein grünes Dach. Das Grün steht für Leben, Neubeginn, Freude, Glück, Hoffnung, Gelingen, Frieden, Sicherheit, Ruhe, Erholung…", liest man weiter. Außerdem sei Grün "die Farbe des Propheten und Verheißung des Paradieses."

Ein seltsamer Streit

Dass nicht unbedingt alle Wege, auch nicht die grünen, ins Paradies führen, hat sich in Sarajewo in diesen Wochen erwiesen. Im Zentrum der Stadt wurden einige Straßen mit einer speziellen Farbe gefärbt, die während der Wintermonate Unfälle auf den eisigen Gehsteigen verhindern sollte. Nun, die Farbe des neu gefärbten Trottoirs ist Grün.

Die kroatischen und serbischen Mitbewohner von Sarajewo haben das als eine Provokation von Seiten der Muslime gesehen. "Hier geht es um eine klare Mitteilung, die Muslime an andere Volksgruppen, die in Sarajewo leben, geschickt haben." Nach der NGO "Croatia libertas" war das ein Zeichen, dass Sarajevo nicht die Hauptstadt von Bosnien Herzegowina ist, sondern eine Hauptstadt von nur einer Gruppe - von ethnisch reinen Bosniaken.

Der Präsident dieser Organisation, Leo Plockinic, treibt die Anschuldigung noch weiter: "Wir sehen das als eine Mitteilung von Intoleranz und als perfide ethnische Säuberung, die letztendlich die Bürger anderer Nationen und Religionszugehörigkeit aus Sarajewo vertreiben sollte". "Sarajewo möchte eine größere Stadt als Teheran, die Hauptstadt der Islamischen Republik Iran, werden", so Plockinic. Aber "eben in Teheran sind die Straßen und Plätze nicht grün gefärbt, die eine charakteristische Farbe der Muslime ist."
Was hätten Iren und Slowenen dazu zu sagen?

Die Entscheidung, Sarajewos Gehwege grün zu färben, hat die Bürgermeisterin Samiha Bohovac gefällt. Sie sieht in ihrem Beschluss nichts Strittiges und dementierte diese Anschuldigungen heftig. "Diese Aktion ist ein Volltreffer, weil es in Sarajewo sowieso einen Mangel an Grün gibt ", so Bürgermeisterin Bohovac.

Bascarsija

Ob die Muslime von Sarajewo tatsächlich die Straßen ihrer Stadt in Grün sehen möchten, weil sie so den anderen ein Zeichen geben möchten, kann man so einfach nicht beantworten. Es könnte auch sein, dass die Farbe wirklich aus "ökologischen" Gründen, des Pflanzenmangels wegen, ausgewählt wurde. Am schlimmsten wäre es, wenn die Gegner in ihren Protesten Recht gehabt hätten. Wenn man heutzutage Sarajewo besucht, bemerkt man sofort, dass die Stadt stärker mit islamischen Symbolen geprägt ist, als das früher der Fall war.

Bascarsija, "der alte Teil von Sarajevo, und ebenso der historische und kulturelle Mittelpunkt dieser Stadt", wie das seine Web-Seite erklärt, hat nach der Annexion von 1908 mehr und mehr seine islamische Wurzel verloren und ist aufgrund seiner pittoresken Ansicht zu einer touristische Attraktion geworden. Die Moscheen wurden damals mehr als "kulturelle Reste" aus der alten Zeit anstatt als aktive Orte des religiösen Lebens angesehen.

Die Monarchie und die beiden nachfolgenden Jugoslawien haben versucht, die religiösen Unterschiede und deren Auswüchse zu dämmen. Die Säkularisation war ein, wie man es heute sieht, erfolgloser Versuch, die verschiedenen Volks- und Religionsgruppen Bosnien-Herzegowinas zu einem harmonischen Zusammenleben zu bringen.

Nach dem Zerfall Jugoslawiens sind die Moscheen von Sarajewo und auch die katholischen und orthodoxen Kirchen wieder zu dem geworden, was sie ursprünglich waren - die Orte der religiösen Praxis. So sind die mit Kopftüchern bedeckten Frauen in Bascarsija, die man überall sieht, keine Statistinnen für Touristen, sondern echte Vertreterinnen ihrer religiösen Zugehörigkeit.

Diese, auf den ersten Blick fast komische, Farbenstreiterei bestätigt, dass die politische und gesellschaftliche Lage in Bosnien-Herzegowina weit von europäischen Normen entfernt ist. Die jetzigen internationalen und lokalen Verwalter von Bosnien-Herzegowina haben keine Instrumentarien gefunden, die auf eine bessere Zukunft des Zusammenlebens hoffen lassen könnten.

Unsere Partei

In dieser Hinsicht sind die Worte des Präsidenten der neugegründeten bosnisch-herzegowinischen Partei "Nasa stranka" ("Unsere Partei"), Bojan Bajic, richtungsweisend: "Es gibt nur einen Weg, um in Bosnien-Herzegowina etwas zu bewegen. Alle müssen unbedingt das Abkommen von Dayton akzeptieren. In Dayton haben alle Beteiligten ihre maximalistischen Ziele fallengelassen, und nur das kann ein Ausgangspunkt für die Zukunft sein. Alle müssen sich an das, was in Dayton unterschrieben wurde, halten. Das bedeutet, dass die Serben den Staat Bosnien-Herzegowina, die Bosniaken die Republika Srpska und die Kroaten die Bosnische Föderation akzeptieren und als ihren gemeinsamen Staat anerkennen."

Bis dahin werden sich die Menschen in Bosnien-Herzegowina mit den Bedeutungen der Farben unter ihren Füßen beschäftigen.