Bernhard Kathan und sein Hidden Museum
Ist das Bauernhaus noch zu retten?
Der in Innsbruck lebende und aus Vorarlberg stammende Kulturhistoriker, Autor und Künstler Bernhard Kathan wird beim Kulturfestival WalserHerbst im Großen Walsertal mit einer Ausstellung präsentiert, die fragt: "Ist das Bauernhaus noch zu retten?"
8. April 2017, 21:58
Das Bauernhaus Litze 11 im Dorf Raggal im Großen Walsertal ist einer von mehreren Ausstellungsorten des Vorarlberger Kulturfestivals WalserHerbst, aber in diesem Bauernhaus zeigt Bernhard Kathan eine Bildgeschichte, die, als Wanderausstellung konzipiert, seit drei Jahren unterwegs ist. Die Ausstellung besteht nur aus einer Mappe mit 59 Bögen im DIN-A3-Format und stellt die Frage "Ist das Bauernhaus noch zu retten?" "Die Kleinbauern spuken in meinem Kopf herum", so Bernhard Kathan im Gespräch, was mit seiner Herkunft zu tun habe.
Das Verschwinden des Todes
Der Autor und Kulturhistoriker Kathan veröffentlicht beinahe im Jahresrhythmus Bücher und verstreute Texte zur kleinbäuerlichen Kultur beziehungsweise zu derem Verschwinden. 1993 ist die "Geflügelschlachtschere oder die Erfindung der Tierliebe" erschienen. 2007 ist im Libelle-Verlag seine Erzählung "Nichts geht verloren" erschienen. Es ist die Geschichte einer Bauernfamilie, die mit Armut und Tod umgehen muss. Dazu kommen noch Arbeiten über das Kochen, obwohl ihn nach eigenen Angaben eher das Töten interessiert, das Schlachten, denn das gehöre eben zum Leben dazu.
Es gehe aber auch um das Verschwinden des Todes, so Kathan. Das gelte "nicht nur für das Schlachten von Tieren, sondern - die ersten Tierschutzgesetze zielten ja darauf ab, dass nur hinter verschlossenen Türen geschlachtet wird", erinnert sich Kathan. "Das heißt fürs Tier noch überhaupt nichts. Wenn nicht mehr geschlachtet wird, dann verändert das auch, man macht bestimmte Erfahrungen nicht mehr und gleichzeitig markiert das auch, wie wir mit unserem Tod umgehen. Wenn über das Leiden von Tieren gesprochen wird, dann wird letztlich auch über den Umgang des Menschen mit Leid, Schmerz, Tod geredet."
Ein Ferkel tötet man mit einem langen, spitzigen Messer. Am besten bindet man dem Ferkel die hinteren Füße, die vorderen drückt man mit der Hand so nieder, dass auch der Kopf festgehalten wird und sticht mit dem Messer zwischen den ersten Rippen durch den Hals nach unten, um das Herz zu treffen. Hat man das Messer wieder herausgezogen, so hält man das Ferkel mit dem Kopf abwärts, damit das Blut gut ablaufen kann. (...)Kaninchen tötet man am besten, indem man ihnen zwischen den Vorderläufen einen tiefen Schnitt mit einem scharfen Messer beibringt, wodurch das Herz getroffen wird.
"Gesellschaft" anders denken
Bernhard Kathan wurde 1953 in Fraxern geboren, in einem Dorf in der Nähe von Rankweil, Vorarlberg. Er war der erste, der das Dorf zu Studienzwecken verlassen konnte, ohne die Laufbahn des Priesters einschlagen zu müssen.
Kathan studiert in Innsbruck Erziehungswissenschaften. "Auf der Uni habe ich gelernt, 'Gesellschaft' anders zu denken", erinnert er sich. "Historische Prozesse im Sinne, dass alles, was wir uns unter Menschen, unter Normalität vorstellen, sehr relativ ist. Das prägt mich bis heute." Heute ist er "Autor, Historiker, Künstler oder so was".
Beginnen wir mit dem Autor. Zwischen Aufnahme und Beendigung eines Textes können oft Jahre liegen - "Wenn ich mit einem Text anfange, habe ich so eine vage Vorstellung, in welche Richtung sich der entwickeln kann. Wenn der Text fertig ist, und ich habe immer noch die gleiche Vorstellung, dann ist es ein schlechter Text." - oder sie werden gar nicht fertig.
2003 veröffentlicht Kathan seine Geschichte der Medizin, beschreibt kranke Menschen, Elend und Siechtum, ohne in Betroffenheitsprosa zu flüchten und landet mit "Das Elend der ärztlichen Kunst. Eine andere Geschichte der Medizin" vor allem in Deutschland einen Bestseller.
Das versteckte Museum
Als Autor, Kulturhistoriker und Künstler gründet Kathan in den 1990er Jahren in seinem Heimatdorf Fraxern ein Museum. "Man muss Arbeiten, die man macht, auch überprüfen", meint Kathan, "man braucht ein Publikum, auch wenn das nur zehn Leute sind." Das Museum befindet sich auf einem elterlichen Grundstück und erhält den Namen Hidden Museum, verstecktes Museum. Die Bewohner und Gemeindevertreter betrachten die experimentelle Einrichtung eher als offene Provokation.
Die Titel der Ausstellungen, die nur im Sommer und nach Voranmeldung zu besichtigen sind, tragen nicht zur Beruhigung bei: "Das Kirschblütenfest", "Schöne neue Kuhstallwelt", "Brauchen Zuchtmütter Ornate?", oder: "Das Hidden Museum: Das zweifelhafteste Museumsprojekt der Gegenwart".
Wir sind alle Bankräuber
"Bankraub: Zur neuen Portraitmalerei" war 2000 ein Museumsprojekt, das die Bewohner von Fraxern erschreckt hat:
Das Hidden Museum zeigt Gesichter von Bankräubern. Wie die Konstituierung des Subjekts am Beginn der Neuzeit in der Portraitmalerei ihren Ausdruck fand, so konstituiert sich im kalten Auge der Überwachungskamera das neue Subjekt. Das technische Auge sucht nach Eindeutigem.
"Wer immer dort beim Fenster reinsieht, der bewegt sich auf einem Privatgrundstück und die Kamera - sofern es eine gegeben hätte -, die ist im Innenraum." Man müsse also hineinschauen, betont Kathan.
Aus gegebenem Anlass wird das Hidden Museum eine Kamera installieren, die, mit einem Bewegungssensor gekoppelt, Bilder von jenen aufnimmt, die durch die Scheibe in das Innere des Raumes blicken. Wir sind alle potenzielle Bankräuber (wobei weiterhin offen bleiben wird, wer wen ausraubt).
Die Fraxener entdeckten irgendwann Kathans Internetseiten, wo er das Projekt gestartet hatte. Die Aufregung war groß. "Es gab nicht einmal eine Kamera, und die Fotos, die im Internet zu sehen sind, sind alles Freunde, ich hab sie einen nach den anderen abfotografiert"
Geglückte und misslungene Adaptionen von Bauernhäusern
In seinem versteckten Museum in Fraxern hat Bernhard Kathan dieses Jahr Bilder von Kühen sogenannter kleiner Bauern gezeigt. Für den Vorraum des Hidden Museums hat Andrea Sodomka eine Klanginstallation produziert. In seiner für den Walser Herbst erweiterten Bildgeschichte zeigt der Kulturhistoriker geglückte und misslungene Adaptionen einst landwirtschaftlich genützter Räume und Gebäude. Die überzeugendste Nachnutzung findet Kathan aber dort, wo einzelne Objekte sorgsam renoviert als Heimatmuseen wie etwa in Dalaas adaptiert werden. Inspiriert dazu hat ihn "ein Stallgebäude, das als Kunstraum oder Kulturraum umgebaut worden ist. Damals hab ich mir gedacht, man könnte eigentlich das Gebäude selber zum Thema machen."
Bernhard Kathan hat seiner Arbeit den lokalen oder regionalen Bezug genommen, indem es nicht mehr allein um das Vorarlberger Bauernhaus geht. Die Erweiterung macht dafür einen persönlichen Zugang möglich. Jeder Betrachter darf und soll die Mappe berühren, kann eine neue Ordnung herstellen, da ohnehin von Unordnung erzählt wird, denn "die bäuerliche Architektur ist komplex - Schweine, Hühner, Alte, Junge, ein heilloses Durcheinander", so Kathan. "Wenn sie restauriert werden, ist es dann nicht mehr dasselbe Haus, weil das Haus seine Begründung verloren hat. Die Leute leben anders, nutzen das Haus anders undsoweiter. In solchen Häusern wird nur noch im Ausnahmefall geboren, es stirbt kaum mehr jemand zu Hause. Das alles hat sich geändert."
Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 6. September 2008, 17:05 Uhr
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