Eltern werden - Eltern sein
Kinder und Erwachsene
Braucht das Zusammenleben mit den eigenen Kindern eine Schulung? Warum gestaltet sich die Beziehung zwischen Kindern und Eltern nicht zwanglos? Die Praxis zeigt: Im Alltag ist die Kommunikation oft von Missverständnisse und Fehleinschätzungen bestimmt.
8. April 2017, 21:58
Bereits 1762 stellte der französische Philosoph Jean Jaques Rousseau in seinem Erziehungsroman: "Emile - oder: Über die Erziehung" fest: "Man muss den Erwachsenen als Erwachsenen und das Kind als Kind betrachten." Und seine Erkenntnis, dass sich die Wahrnehmungsfähigkeit eines Kindes von der des Erwachsenen unterscheidet, war bahnbrechend für die moderne Pädagogik.
Führungsposition der Eltern
Führungsposition der ElternDie Beziehung zwischen Eltern und Kindern hat sich im Lauf der Geschichte verändert. Über Jahrhunderte war das Verhältnis von einem eindeutigen Machtgefälle bestimmt. Dieses wurde durch die sozialen Revolutionen der 1960er und 1970er Jahre des 20. Jahrhunderts in der westlichen Welt in Frage gestellt. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse und die Erfahrungen, die in den reformpädagogischen Schulen gesammelt wurden, waren die Basis dafür. Der Traum: eine neue Welt auf der Basis selbstbewusster und frei erzogener Kinder zu errichten, schien zumindest in ersten Schritten möglich zu sein.
Doch der Weg gestaltete sich schwieriger als zu erst angenommen, denn die zentralen Fragen, die sich aufgeschlossene Eltern immer wieder stellen, sind überall dieselben, berichtet der dänische Pädagoge und Familientherapeut Jesper Juul: "Wie können wir die Kinder führen und begleiten, ohne ihre Integrität, ihre Würde zu verletzen?"
Jesper Juul hat europaweit ein Netzwerk von Elternberatungsstellen aufgebaut. Family Lab - Familienlabor - ist eine Einrichtung, die Eltern auf der Suche nach neuen Wegen in der Erziehung unterstützen soll. Rezepte bietet Family Lab aber nicht an. Die Eltern haben die Möglichkeit, individuelle Antworten zu finden auf die Fragen: Was bedeutet es für mich, Mutter oder Vater zu sein? Wie gehe ich mit meiner Position des Älteren, erfahreneren Mensch um? Wie kann ich meine Verantwortung dem Kind gegenüber wahrnehmen?
Authentische Sprache
Grundlegend geändert hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Definition von "Autorität". Noch in seiner Kindheit, meint Jesper Juul, habe vieles auf der Basis von Angst funktioniert: der Angst der Kinder vor der Gewalt der Erwachsenen. Die Repression wurde zum Instrument der Autorität. Das ist heute gesetzlich verboten - und gesellschaftlich tabuisiert. Es sind nicht mehr die Funktionen eines Lehrers, Polizisten oder eines Vaters, die Erwachsenen Autorität verleihen. Um von den Kindern akzeptiert zu werden, müssen sich die Erwachsenen um eine authentische Sprache bemühen, so Jesper Juul. Was zählt, ist die Glaubwürdigkeit der Person.
Kinder erziehen heißt, an sich selbst arbeiten. Dafür holen sich viele Eltern auch professionelle Unterstützung. Die Statistik des Familienministeriums dokumentiert, dass sich im Jahr 2007 rund 80.000 Erwachsene bei einer Elternberatungsstelle Hilfe geholt haben.
Ehrgeiz der Erwachsenen
In gleichem Masse wachsen aber auch die Belastungen, denen Familiensysteme ausgesetzt sind, denn die modernen Schlagworte aus dem Wirtschaftsleben wie Flexibilität und Mobilität entsprechen nicht den Bedürfnissen von Kindern, sagt die Entwicklungspsychologin Liselotte Ahnert von der Universität Köln. Aufmerksamkeitsstörungen und Regulationsstörungen werden spätestens beim Schuleintritt registriert. Die Ursachen dafür liegen oft in der Frühsozialisation.
Nicht nur die Unruhe und Nervosität der Erwachsenenwelt überträgt sich auf das Baby oder Kleinkind, die Anforderungen, die an die Jüngsten gestellt werden, sind gewachsen. Sehr früh sind bereits die Kleinsten mit einem enormen Leistungsdruck konfrontiert. Erfüllen die Kinder im vorgegebenen Zeitrahmen nicht die statistischen Normwerte, werden sie in Kursen trainiert. Fördermaßnahmen sollen nachsteuern.
Liselotte Ahnert: "Den Kindern wird zu wenig Zeit gelassen, die Entwicklungsschritte in ihrem eigenen Tempo zu durchlaufen." Der Ehrgeiz junger Eltern, dem Kind die optimalen Voraussetzungen zu bieten, beeinflusst die Beziehung zwischen Mutter und Kind oft negativ.