Italienische Stadt in Afrika

Asmara

Haushohe Palmen säumen Asmaras Hauptstraße, als wäre eine Stadt von der italienischen Riviera auf das afrikanische Hochplateau versetzt worden. Asmara ist dem Himmel nah: Auf fast 2.400 Metern Höhe liegt es im ostafrikanischen Hochland.

Asmara, die Hauptstadt des kleinen ostafrikanischen Staates Eritrea, ist Afrikas heimliche Hauptstadt der Moderne. Mehr als 400 Bauten der Art deco, des Futurismus, Rationalismus und Funktionalismus hat die italienische Kolonialmacht hier hinterlassen. Errichtet wurden sie vor allem in den 1930er Jahren. Durch Nichtbeachtung und Geldmangel sind fast alle erhalten geblieben. Asmara ist ein Architekturmuseum der Moderne.

Fiat Tagliero - vielleicht die schönste Tankstelle der Welt. Gebaut 1938. Der Volksmund nannte sie sofort l'aeroplano, das Flugzeug. Nach der damaligen italienischen Bauordnung hätte man so weit auskragende Dächer gar nicht ohne Stützen bauen dürfen. Architekt Pettazzi ließ während der Bauarbeiten hölzerne Pfosten aufstellen. Zur Eröffnung wies er aber die Arbeiter an, die Holzstützen zu entfernen. Die weigerten sich, weil sie Angst hatten, das Dach würde einstürzen. Mit vorgehaltener Pistole soll Pettazzi sie dann zu dieser Arbeit gezwungen haben.

Da Fiat Tagliero derzeit keine Zapfsäulen hat, muss man zu einer anderen Tankstelle ausweichen. Macht nichts, die ist auch futuristisch und stammt ebenfalls aus dem Jahr 1938: Tamoil, vormals Agip.

Palazzi und Villen

Das Wohn- und Geschäftshaus Pallazzo Falletta steht an der Hauptstraße der Stadt, Harnet Avenue oder Independence Avenue, früher Viale Mussolini. Klein-Rom, Piccola Roma nannten die faschistischen Kolonialherren das Stadtzentrum von Asmara; durchgesetzt hat sich aber damals der weniger poetische und pragmatischere Name campo cintato, umgürtetes Gelände. Apartheid pur, nur Weiße hatten hier freien Zutritt, Schwarze nur mit Ausnahme-Genehmigung. Noch heute sagen die Leute zur Stadtmitte verballhornt combishtato.

Der Bauherr des Pallazzo Falletta, der Lancia-Händler Santo Falletta, offenbar ein Mann von Geschmack, hat sich auch auf dem italienischen Friedhof Asmaras ein schönes rationalistisches Mausoleum bauen lassen.

Die Brunnen- und Treppenanlage Mai Jah Jah verbindet die Innenstadt mit dem etwas höher gelegenen Außenbezirk Gheza Banda. Schwer zu entscheiden, was Mai Jah Jah primär ist: Treppe oder Brunnen? Die Übersetzung aus der Tigrinya-Sprache gibt eine klare Antwort: Mai heißt Wasser, Jah Jah das Geräusch herabfallenden Wassers.

Versuche, Asmara auf die Unesco-Weltkulturerbe-Liste zu bekommen, stocken derzeit. Die Rundungen von Mai Jah Jah, diese halben Zylinder, sind ein ganz typisches, immer wieder auftretendes Element in der Formensprache der modernen Architektur hier. Am heutigen Gebäude der Weltbank zum Beispiel, früher eine Villa für vier Familien.

Das Stiegenhaus als Blickfang, als prägendes Element, wie der Turm eines U-Boots. Die Tür zum Treppenhaus als Haupteingang. Nur wenige der rund 400 Bauwerke, mit denen die Italiener die Grundlage für diese Stadt errichtet haben, sind in so gutem Zustand wie das Weltbank-Gebäude. Manche Bauten, wie die früheren Verwaltungssitze von Alfa Romeo, der Generali-Versicherung oder die ehemalige Lancia-Niederlassung, die dann als Silikon-Fabrik genutzt wurde, sind in bemitleidenswerter Verfassung.

Eine Renovierung könnte auch die Villa Cohen vertragen. Das einzige Haus der Stadt mit blauen Fenstern. Im Inneren ein faszinierender Zusammenklang des blauen Lichts mit der matt glänzenden braunen Holztäfelung des Treppenhauses.

Gebaut 1940 für die Frau des Brauereibesitzers Melotti, wird die Villa 1945 von der Familie Cohen gekauft. Sami Cohen wohnt hier immer noch, er ist der Rabbiner von Asmara und nach eigener Auskunft überhaupt der letzte Jude, der in der Stadt lebt.

Dagegen ist der Bewohner der Villa Grazia einer von noch etlichen Italienern, die in Asmara alt geworden sind.

Lichtspielpaläste

Die Villa Grazia ist eines der Häuser, angesichts dessen einem sofort die Bilder des Malers Giorgio de Chirico mit den Arkaden im harten Sonnenlicht in den Sinn kommen.

Ein eigenes Kapitel in der Architekturgeschichte Asmaras sind die Lichtspielhäuser: Das Cinema Impero hat eine Art-deco-Fassade, entworfen für die Nacht. Ein Kino, gemacht für große abendliche Premieren, gelegen direkt am Boulevard. Der Zutritt war unter der italienischen Kolonialherrschaft natürlich nur Weißen gestattet.

Das architektonische Highlight des Cinema Odeon ist dessen Bar im Kinofoyer: cooles Art Deco-Design, feine waagrechte Streifen geben der Theke horizontalen Halt, dahinter steigt eine Vitrine empor, die die Vertikale der Außenfassade zitiert.

Riesig ist das Cinema Capitol: 1800 Sitzplätze. Das Dach des Kinosaals kann in milden Nächten geöffnet werden. Baujahr 1937. Von außen geht das größte Kino der Stadt vor allem in die Breite. Drei waagrechte Fensterbänder über dem weiten, außen gerundeten Eingangsbereich betonen die Horizontale. Breitwandkino sozusagen.

Das Capitol-Kino hat dringenden Renovierungsbedarf. Pläne, es in seiner einstigen Herrlichkeit wieder auferstehen zu lassen, existieren seit vielen Jahren. Seither steht der Wille für die Tat.

Funktionsbau Hotel
Das Selam Hotel ist vielleicht Asmaras klarstes Beispiel für funktionalistische Architektur. U-förmiger Grundriss, eingeschoßig. Reduzierter kann eine Fassade nicht sein.

Die Inneneinrichtung des Selam Hotels - Lobby, Bar, Speisesaal und die Zimmer - entspricht weitgehend noch dem Zustand der 1930er ahre. Deshalb hat es nur noch zwei Sterne, ist aber wahrscheinlich das originalgetreuest erhaltene Gebäude der Stadt. Das Selam Hotel hat übrigens für die Eritreer eine wichtige historische Bedeutung: Hier erklärte ein UNO-Vertreter im April 1993 Eritrea zum unabhängigen Staat.

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Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 14. März 2009, 17:05 Uhr

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