Mythen und Legenden
Scharfrichter und Rechenmeister
Es gibt derzeit einen wahren Boom des Mittelalters. Doch das Mittelalter muss in vielen Facetten neu beziehungsweise differenziert geschrieben werden, da sind sich die meisten Historiker einig. Etwa was die Rechtsgeschichte betrifft.
8. April 2017, 21:58
Gott war es, so die Meinung der Menschen des Mittelalters, der richtete und strafte. Auch öffentliche Hinrichtungen waren mit Gottes Segen versehen. Doch es hat auch ganz andere Formen der Buße für ein strafbares Delikt gegeben.
Ein Richter konnte entscheiden, dass statt einer drastischen Strafe eine Wallfahrt unternommen werden musste. Der Delinquent wiederum hatte die Möglichkeit, jemanden anderen gegen Bezahlung auf die Wallfahrt zu schicken.
Beispiel Schandmasken
Sogenannte Schandmasken gehören zum Prunkinventar von Schausammlungen, die sich mit Rechtsgeschichte befassen. Diese Masken bekamen jene aufgesetzt, die wegen übler Nachrede verurteilt wurden.
Doch gerade bei den Schandmasken sind die Mittelalterhistoriker skeptisch geworden. Handelt es sich tatsächlich um eine im Mittelalter häufig gebrauchte Form der niederen Gerichtsbarkeit? Oder um eine neuzeitliche Projektion auf das Mittelalter? Denn obwohl es zahlreiche Masken gibt, sind die Belege über deren Verwendung äußert gering.
Das jüdische Leben im Mittelalter
Wahrheit, Fiktion, Realität, Mythen, vieles muss heute fein säuberlich neu sortiert und im Lichte der interdisziplinären Forschungen neu interpretiert werden.
Etwa das jüdische Leben im Mittelalter. Die von der Kirche den Christen auferlegten Kontaktverbote mit Juden sind, im Gegensatz zur bisherigen Meinung, im Alltag einfach ignoriert worden. Auch die These, dass Juden im Geldgeschäft eine Monopolstellung hatten, lässt sich historisch nicht halten. Ebenso die lange tradierte Vorstellung vom mittelalterlichen Ghetto.
Burgen: keine Bollwerke, sondern Rechenzentren
Vieles muss auch am gängigen Bild der mittelalterlichen Burg revidiert werden. Von Verliesen und Folterkammern ist vielfach die Rede, von Bollwerken gegen allerlei Feinde. Diese Vorstellungen kann die moderne Forschung widerlegen. Die Burgen waren zumeist Gebäude, die komfortabel ausgestattet waren, mit dichten Fenstern und modernen Heizsystemen.
Die Adeligen auf ihren Burgen haben in der Regel nicht gefoltert, sondern gerechnet. Burgen waren die Zentren der Verwaltung der Gutsbesitzer, wo über die Einnahmen und Ausgaben Buch geführt wurde.
Mit einem Rechensystem, bei dem auf Linien Rechensteine aufgelegt wurden. Gerechnet wurde auf Tafeln, Brettern, Tüchern oder Tischen. Durch Verschieben der Steine konnten einfache Rechnungen durchgeführt werden.
Doppelte Buchführung schon 1340
Für den adeligen Hausgebrauch hat das Rechnen auf Linien gereicht. Einen Professionalisierungsschub des Rechnens hat es dann von Italien aus gegeben. Bereits 1340 ist die doppelte Buchführung in Genua nachweisbar. Dort hat es auch "Rechenmeister" gegeben, also professionelle Mathematiker, die gegen Bezahlung ihr Wissen angeboten haben.
Die vielen Mythen und Fantasien um das als finster titulierte Mittelalter in ein rechtes Licht zu rücken, das ist das Ziel der Mittelaltergeschichte. Damit wird die Epoche zunehmend zu neuem Leben erweckt.
Hör-Tipp
Dimensionen, Donnerstag, 25. Februar 2010, 19:06 Uhr