Feig und gemein
Am virtuellen Pranger
Es ist feig und gemein. Unter dem Schutz der Anonymität wird eine Meinung im Internet über Sie veröffentlicht, eine, die Sie verletzt und Ihren Ruf schädigt. Seit rund einem halben Jahr kursiert eine US-Webseite im Netz, die einlädt, Menschen anonym zu verunglimpfen.
8. April 2017, 21:58
Die Seite, die einlädt, Menschen anonym zu verunglimpfen heißt http://www.rottenneighbor.com. Eine digitale Pinnwand des gemeinen Wesens Mensch, die es ermöglicht, sich über seinen Nachbarn zu äußern. Als rote Häuschen sind die bösen, als grüne Häuschen die guten Bewohner, alias Nachbarn markiert, kommentiert und an eine konkrete Adresse gekoppelt, die man über den Kartendienst von Google abrufen kann.
Im Wiener Straßenlabyrinth kann man differenzierte Einträge finden wie: "Haus und Hofpolizist, Möchte-gern-Hausmeisterin, Mistkübelkontrollorgan, Kinderbelästiger und Steinchenschieberin mit Scheißhund der Tag und Nacht bellt." Und das unter Angabe von Namen, Adresse, Stiege, ja sogar Stockwerk.
Ziel sei es, den Immobilienmarkt mit einem zusätzlichen Entscheidungswerkzeug auszurüsten, so der Betreiber und Erfinder der Seite, Brant Walker, ein 27-jähriger US-Amerikaner, denn wer sich ein Haus kaufen will, kann sich so vorab über diesen oder jenen tollwütigen Nachbarn mit Kinderporno-Sammlung, der sich regelmäßig an Gartenzäunen vergeht, informieren. Ein "widerlicher Dienst", ein "Stadtplan des Bösen" hieß es dazu kürzlich in der Süddeutschen Zeitung.
Verteidigung der "blöden Sau"
"Wenn mich jemand als 'Blöde Sau' beschimpft, so ist das auch im Internet strafwürdig. Das große Aber, der Unterschied zum realen Leben ist die Rechtsdurchsetzung, die Verfolgung des eigenen Rechts", sagt Hans Zeger von der Arge Daten. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, im Gegenteil, er ist sogar einer der bestüberwachten Räume, so Hans Zeger. Durch die IP-Adressen ist man nämlich, ähnlich einer Postanschrift, ständig identifizierbar.
Das Problem ist, dass der Umgang mit diesen "Postadressen" je nach Ursprungsland unterschiedlichen Rechtsnormen unterliegt und sich das Gegenüber im Netz mit Nicknames und Pseudonymen leichter maskieren kann. Verantwortliche Schlüsselstelle ist der Betreiber, an ihm liegt es, die Daten seiner User zu verwalten und ethische Normen zu berücksichtigen - oder eben nicht.
Löschung eines Eintrags ist innerhalb der EU durchsetzbar
Wenn man einen beleidigenden Eintrag auf einer Webseite findet, dann muss man zuerst einmal nach dem Betreiber dieser Seite suchen. Entscheidend ist, ob dieser Betreiber ein österreichisches, ein EU- oder ein außereuropäisches Unternehmen ist. Handelt es sich um einen österreichischen Betreiber, kann man diesen anschreiben, auf die veröffentlichte Äußerung hinweisen und das Unternehmen muss den Eintrag nach dieser Vorhaltung löschen.
Gleiches gilt für Betreiber aus anderen EU-Ländern, da die EU einheitliche Richtlinien der Rechtsdurchsetzung und des Schutzes der Persönlichkeitsrechte verfolgt. Schwieriger wird es, wenn der Betreiber außerhalb der EU verankert ist. Dann muss nach dem dortigen lokalen (nationalen) Recht vorgegangen werden.
... aber kaum außerhalb der EU
Das Recht auf freie Meinungsäußerung, um das es hier letztlich geht, ist ein dehnbarer Begriff, einer, der in den USA, in Australien, Somalia oder Österreich jeweils anders verstanden wird. Die USA zum Beispiel mischen sich in ethische Grundsätze ihrer Unternehmen, wie des Betreibers des Nachbar-Vernaderungsdienstes, nicht ein - und gewähren Öffentlichkeit.
Klagenswert und kostspielig
Schon mal versucht eine Klage in die USA zu schicken? Das kann für einen Laien aufwendig, teuer und undurchsichtig werden. Säumig sei hier die Politik, so Hans Zeger. Die Politik sei zu behäbig in ihrer Reaktion auf die Internationalisierung des Internet.
Erstens: Es fehlen die internationalen Vereinbarungen, die ein ähnliches Schutzniveau der Privatsphäre wie in der EU sicherstellen. Und zweitens: Staat beziehungsweise Politik sollten das komplizierte Verfahren der Rechtsdurchsetzung übernehmen, dem beschimpften und überforderten Bürger zivilrechtlich unter die Arme greifen. "Man könnte hier in Österreich oder der EU eine Anlaufstelle für derartige internationale Verletzungen der Privatsphäre einrichten, eine Anlaufstelle, die Recherche, Klage, Ausfallshaftung und Aufwand übernimmt, denn in Wirklichkeit sind zwar viele Österreicher von solchen Dingen betroffen, aber es sind fast immer dieselben Täter - ein paar hundert Firmen wie rottenneighbors, die sich da mit einer menschenverachtenden Kommunikationskultur breit machen und Privatsphäre verletzen."
Kommunizieren statt zensurieren
Derlei Seiten zu verbieten, wäre aber der völlig falsche Weg, sagt Hans Zeger. Das wäre Zensur. Die Anonymität gehört unbedingt geschützt, also auch anonymes Posting. Man denke an bestimmte Bevölkerungsgruppen, Bereiche oder Länder, die unter starkem politischen oder ideologischen Druck stehen. Da man keine "lex rottenneighbor" schaffen kann, wäre mit Zensurmaßnahmen und Identifikationspflicht das ganze Internet geknebelt.
Als Ausgleich für die Vorzüge einer freien Gesellschaft aber müsse, wenn sich Blockwartmentalität breit mache, rasch und überzeugend gehandelt werden. Für Betreiber, die verleumdende, rechtswidrige Äußerungen auf ihren Seiten zulassen, sollte es dann empfindlich teuer werden.
Hör-Tipp
Digital.Leben, Dienstag, 30. September 2008, 16:55 Uhr
Links
rottenneighbor.com
ARGE Daten