Zum 80. Geburtstag von Helmut Qualtinger

Ein Genie und das Wiener Kabarett

Über Helmut Qualtinger zu sprechen ist nicht zuletzt deswegen schwierig, weil jeder in seiner Erinnerung einen eigenen Helmut Qualtinger kultiviert. Leichter scheint es, wenn man sich auf den Kabarettisten Qualtinger konzentriert.

Befangenheit ist nicht untypisch für eine Generation von Kabarettisten, die nach Helmut Qualtinger ihren Beruf ergriffen haben: Hochachtung und Furcht zugleich wurden Helmut Qualtinger damals entgegengebracht. Hochachtung vor dem Künstler, Furcht vor der Privatperson.

Der österreichische Blues

Über den 1986 verstorbenen Helmut Qualtinger zu sprechen, ist schwierig - nicht zuletzt deswegen, weil jeder - vermutlich mit Recht - in der Erinnerung einen eigenen Helmut Qualtinger kultiviert - und: weil die Vorstellung, es gäbe den richtigen Qualtinger, den richtig gesehenen Qualtinger, nur zu einem mehr oder weniger unfruchtbaren Streit führt, dem man am besten ausweicht, indem man eines jener Lied spielt, die er so unnachahmlich interpretierte: "Weil mir so fad is".

La Noia, die Langeweile also, der Überdruss - auf gut österreichisch: der Blues, die undurchdringliche Fadesse, von der Qualtinger sang. Das Lied: "Weil mir so fad ist" hat Gerhard Bronner für das Programm "Glas vorm Aug" geschrieben. Premiere war am 2. Oktober 1957.

Es war das dritte Programm des Ensembles, das sich niemals einen eigenen Namen gegeben hatte und zu dem - neben Helmut Qualtinger -auch Carl Merz, Michael Kehlmann, Gerhard Bronner und später Peter Wehle, Georg Kreisler und Louise Martini gehörten. Wie schwierig es auch sein mag, das "richtige" Bild von Helmut Qualtiger zu entwerfen, die Einschränkung auf den Kabarettisten bietet jedenfalls fürs erste eine gewisse Erleichterung.

Ursprünglich wollte Qualtiger Schriftsteller werden. Er war und er blieb es auch. Berühmt wurde er jedoch als Kabarettist. Nicht zuletzt in dieser Eigenschaft ist er bis heute präsent.

Politik bedarf Glossierung

Während Karl Farkas im Simpl Anfang er 1950er erstklassiges Unterhaltungshandwerk pflegte, bot das bunt zusammengewürfelte Ensemble auf der Bühne des Kleinen Theaters im Konzerthaus eher literarisch-satirische Programme mit poetischen Akzenten. Es war - wenn man so will - der Aufbau einer neuen, bislang noch nicht gepflegten Spaßkultur.

Carl Merz sorgte für die sozialkritischen Aspekte, Gerhard Bronner steuerte die angelsächsische Komponente bei und Helmut Qualtinger stand für die Verkörperung einheimischer Attitüden. "Politik bedarf Glossierung", sagte Qualtinger. Und ganz in diesem Sinne war auch jenes Lied zu verstehen, ein Duett mit Gerhard Bronner, das den Rausch besingt, das aber auch in eine Geschichtsauffassung, in die Glossierung von Bevölkerungspolitik übergeht.

Krügel vorm G'sicht

Aus der gemeinsamen Arbeit von Helmut Qualtinger und Carl Merz ist eine der legendären Figuren des Kabaretts der 1950er Jahre hervorgegangen: der Travnicek. Diesen Travnicek kennzeichnet ein merkwürdiger Doppelcharakter: einerseits offenbart er sich als Spießer. Spießig ist zum Beispiel, dass er prinzipiell nicht in die Ferne sieht, sondern mit der Nase an das Nahe stößt.

Travinceks Unfähigkeit, den Weltmarkt zu sehen, weil ihm der Naschmarkt die Sicht versperrt, ist eine Sichtbehinderung, aber eine, die zugleich die Probe auf ein klassisches Exempel macht; nämlich darauf, dass der Fortschritt, also auch die Weitsicht, nicht so weit geht, wie man gemeinhin glaubt. Oder um es mit dem von Qualtinger verehrten Johann Nestroy zu sagen: "Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, dass er viel größer ausschaut, als er wirklich ist."

So wird, was einerseits als Sichtbehinderung erscheint, anderseits zu einem kritischen Scharfsinn. Neben ihrer spießigen Seite haben Travniceks Interventionen auch sehr vernünftige Züge. Oder ist beispielsweise der Tourismus mit all seinen Beglückungen nicht auch eine Institution, der man zumindest skeptisch gegenüberstehen sollte?

Akustische Masken

Als Kabarettist hatte Helmut Qualtinger eine besondere Fähigkeit, die ihm bei all seinen anderen - wie auch immer verwandten - Berufen nützte: Er verstand sich auf "akustische Masken". So, wie ein Mensch einen Fingerabdruck hat, der unverwechselbar ist, so hat auch jeder eine für ihn typische Sprechweise. Dieses Individuell-Typische konnte Qualtinger durch Übertreibung ganz deutlich vorführen. Berühmt ist der von ihm verfasste Dialog "Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben". Den Titel entlehnte er Friedrich Schiller Gedicht "Die Künstler". Und in dem Programm "Hackl vorm Kreuz" brachte er den Dialog gemeinsam mit Johann Sklenka auf die Bühne.

Helmut Qualtinger verließ die namenlose Truppe 1961 und ist nach seinem Abschied vom Kabarett selbst Schauspieler geworden. Das gemeinsam mit Carl Merz gezeichnete Porträt des Herrn Karl war das Übergangsstücksstück, es war schon Theater, wenngleich es noch kabarettistische Züge in sich barg.

Gerhard Bronner, der mit Qualtinger zehn Jahre auf der Kabarettbühne gestanden war, hat diesen Wechsel zur Schauspielerei immer als eine Verfehlung des eigentlichen Berufes gesehen. Ob das stimmt oder nicht - auf jeden Fall war Helmut Qualtinger einer der größten Kabarettisten dieses Landes.

Service

DVD-Reihe" Der österreichische Film", zehnteilige Filmwerkschau über den Schauspieler Helmut Qualtinger, Hoanzl

Österreichisches Kabarettarchiv - Helmut Qualtinger