Josef Winkler, Schriftsteller

Jeder Satz ein Menschengesicht

Scheinbar belanglose, skurrile bis alltägliche Lebenssituationen werden von Josef Winkler zu detailreichen barocken Satztableaus verarbeitet und seziert. Seine literarischen Bühnen sind sein Geburtsort Kamering, Rom, Indien und Japan.

Der dritte Ingeborg-Bachmann-Preis, Klagenfurt 1979: Über eine illustre Jury, gespickt mit literarischen und literaturkritischen Klassikerinnen und Klassiker wie Marcel Reich-Ranicki, Alois Brandstätter, Hilde Spiel, Gertrud Fussenegger, Kurt Kahl, Humbert Fink und anderen, ergießt sich ein unglaublich wortreicher Wasserfall, dessen Strom die Anwesenden mitreißt, vorgetragen von einem in Ministranten-Rot-Weiß gekleideten 25-jährigen Kärntner, der soeben sämtliche innere Ventile geöffnet hält, um seine Kindheitstraumata hinauszukaskadieren - ein Fanal wider die ländliche Sprachlosigkeit.

Eine sichtlich bewegte Gertrud Fussenegger versucht, ihre Betroffenheit und Bewunderung in Worte zu fassen: "Ich muss sagen, dass ich vor diesem Text Angst habe, Angst einfach, aber ihn großartig finde."

Noch am selben Tag wird dem zu Tränen gerührten Josef Winkler der Verlegerpreis der Klagenfurter Jury in der Höhe von 50.000 Schilling verliehen.

Sprache verhilft zu leben

Wortgewaltig und sprachmächtig schreibt und spricht Josef Winkler. Aus seinen Beobachtungen drechselt er Litaneien. Winklers Gegenstand ist das Leben. Zum Leben verhilft ihm die Sprache. Sie ist für ihn überlebenswichtig. In seinem Bücherregal hütet der Autor noch heute einen Teil jenes Kälberstrickes, an dem sich seine sprachlosen Dorfgenossen erhängt haben.

Winkler verschlingt die Sprache anderer Autoren und würgt seine eigenen Erfahrungen in der Trilogie "Das wilde Kärnten" hoch. Die drei Bände "Menschenkind", "Der Ackermann aus Kärnten" und "Muttersprache" erscheinen zwischen 1979 und 1982.

Einzigartige obsessive Dringlichkeit

2007 erscheint "Roppongi": Am Anfang steht der Vater im Kärntner Ort Kamering im Drautal. Er wird erst aus dem Fernsehen erfahren, dass sein Sohn ihn nicht erträgt. Und der Sohn erfährt vom Tod des 99-Jährigen im Tokioter Stadtteil Roppongi, der diesem "Requiem für einen Vater" den Titel gibt.

Besonders dieses Buch war ausschlaggebend für die Entscheidung, Josef Winkler im Juni dieses Jahres den Georg-Büchner-Preis, den bedeutendsten deutschen Literaturpreis, zuzuerkennen. Die Begründung der Jury lautete: "Josef Winkler hat auf die Katastrophen seiner katholischen Dorfkindheit mit Büchern reagiert, deren obsessive Dringlichkeit einzigartig ist."

In "Roppongi" tauchen sie alle auf, die ständigen real-literarischen Wegbegleiter des Autors: seine schwer depressive Mutter und Schwester, der älteste Bruder und Hoferbe mit seiner Frau, deren Vater sich "mit einem noch feuchten schleimigen Hanfstrick" erhängte und deren pyromanischer Bruder bei einem Feuerunfall ums Leben kam. Und in beinahe jeder Geschichte flackert das fest ins Gedächtnis gebrannte Traumbild des beigefarbenen Festnetztelefons rechts vom Bild mit dem jugendlichen Vater, der als Dreijähriger den linken kleinen Finger verlor, auf.

Mit Notizbuch und Füllfeder verbunden

Der 1953 geborene Josef Winkler hat sich seine Gefährten in der Literatur gefunden. Christian Friedrich Hebbel gab ihm die Maxime für sein Schreiben: "Jeder Satz ein Menschengesicht."

Doch ganz am Beginn der Seelenselbstheilung mittels Büchern stehen Oscar Wilde und Karl May. Das Weinen um Winnetou brachte Erleichterung in die scheinbar emotionslose Kameringer Kindheit. Und dann das Schreiben. Josef Winklers Verbundenheit mit Notizbuch und Füllfeder ist zum Topos geworden. Winkler schreibt unmittelbar, ungehemmt und wahrhaftig. Eifer und Zorn stehen Pate. Seine grotesken Geschichten sind voller Wucht und Witz. Sein Leben scheint kompromisslos - entweder schreiben oder sterben.

Entschieden hat er sich schon immer für beides. Immer wieder werden von ihm der Tod, die Toten, das Sterben, das Begräbnisritual beschrieben, völlig unabhängig davon, ob es sich um die Aufbahrung der Großeltern im Knechtzimmer des heimatlichen Kamering oder um die Leichenverbrennungen im indischen Varanasi handelt.

Seit beinahe zwei Jahrzehnten ist Indien Josef Winklers ständiges Reiseziel. Wäre er nicht mehr in der Lage, nach Indien zu fahren, dann möchte er lieber sterben.

Hör-Tipp
Tonspuren, Freitag, 24. Oktober 2008, 22:15 Uhr

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Links
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Literaturen - Der Enzn-Sepp und seine Welt

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