Patientin bei Freud

Tribut an Freud von H. D.

Hilda Doolittle hat bei Sigmund Freud eine Analyse absolviert. Obwohl sie in ihrem Buch ein berührendes persönliches Porträt des späten Freud zeichnet, hat der Text nur wenig mit Psychoanalyse zu tun, es ist der Erlebnisbericht einer eigenwilligen Frau.

Hilda Doolittle war wohl das konsequenteste Mitglied der von ihrem zeitweiligen Verlobten Ezra Pound begründeten "imagistischen Bewegung", der auch William Carlos Williams, D. H. Lawrence und James Joyce nahe standen. Seit der Veröffentlichung ihrer "Gesammelten Gedichte" 1925 war sie eine Berühmtheit, heute gilt die radikale Modernistin im angelsächsischen Raum als eine Zentralfigur der feministischen Literaturgeschichte. Ins Deutsche war sie bisher kaum übersetzt, seit zwei Jahren läuft im Baseler Engeler–Verlag eine engagierte Auswahlausgabe ihrer Lyrik und ihrer autobiografischen Romane.

80 Stunden Analyse

1933 und 1934 hat die damals 47-jährige H. D., wie sie sich nannte, in zwei Tranchen eine etwa 80-stündige Analyse bei dem damals 77-jährigen Sigmund Freud absolviert - neben Lou Andreas-Salomé war sie wohl die einzige bedeutende Schriftstellerin unter dessen Patientinnen, wie jene hat sie einen 1956 erstmals erschienen Bericht über ihre "Lehrzeit" bei Freud verfasst.

Ihr "Tribut" hat allerdings mit den sonstigen Berichten über Analysen bei Freud nur wenige Gemeinsamkeiten. Den "Leidensdruck", der Menschen in die Analyse führt, hat es offensichtlich gegeben: eine zeitweilige Schreibhemmung und Angstzustände, die sich vordergründig auf den drohenden Weltkrieg bezogen. Aber als "Patientin" im Wortsinn hat Hilda Doolittle sich nicht definiert und ihren Analytiker nicht als heilenden Arzt.

Sie ist es, die, ungeachtet ihrer vorherigen Lektüre der Schriften Freuds, ein sehr eigenständiges Konzept in die Analyse mitbringt: sie sieht sich auf der Suche nach ihrem "Unverwechselbaren", und da sie tief in ein okkultes Weltbild verstrickt und durch einige mystische Erfahrungen geprägt ist, forscht sie nach einer Realität, die jenseits des der Analyse zugänglichen Bereichs liegt.

Kampf und Liebesgeschichte zugleich

In der Terminologie der Analyse kann man das wohl "Widerstand" nennen und Freud hat tatsächlich sehr früh gesehen, dass diese Dichterin - zumindest in seinem Sinn - nicht analysiert werden wollte. Doch gleichzeitig hatte er in seinen letzten Jahren als Therapeut eine ungewöhnliche Flexibilität und ließ sich auf ihr das analytische Setting sprengende Spiel ein. Schon in einer der ersten Stunden machte er ihr ein Kompliment, das den ästhetischen Eigenwert würdigte, der auch ihr Buch auszeichnet: "Sie erzählen das so schön."

Wie alle Analysen war auch diese ein Kampf und eine Liebesgeschichte. Doolittles idealisierter Freud war, wie sie in einem Brief schrieb, "ganz einfach Jesus Christus nach der Auferstehung", die Inkarnation zahlreicher mythologischer Figuren, ein Weiser, der sich der Sprache der Moderne bediente. Dass Freud 1932 92 Mal seinen Chirurgen wegen Schwierigkeiten mit seiner durch seine Krebserkrankung notwendigen Kieferprothese konsultieren musste und Probleme beim Essen, Sprechen und sogar beim Rauchen hatte, spielt in diesem Bericht keine Rolle: Er ist "Sigmund", die "singende Stimme" oder "Siegmund", der "sieghafte" Mund.

Lücken im rationalistischen Panzer

Die Idealisierung hat allerdings ihre Grenzen: Freuds psychoanalytische Deutungen erlebt sie allerdings als trivial. "Das Wunder des Märchens ist unbestreitbar; Sigmund Freud würde es verwerten, rationalisieren", heißt es an einer Stelle ihres Berichtes. Dass Freud - im Licht ihrer späteren Biografie zu Recht - ihre Halluzinationen und prophetischen Visionen als beunruhigendes Symptom deutet, kann sie ebenso wenig akzeptieren, wie seine Sorglosigkeit gegenüber seiner eigenen späteren Wiedergeburt. Klaus Theweleit meint allerdings in seinem Vorwort, dass sie damit bei Freud durchaus gepunktet hätte. Beim späten Freud hätte der rationalistische Panzer schon einige Lücken gehabt, okkultes Denken sei ihm ebenso wenig fremd gewesen, wie eben die Sorge um seine anders verstandene "Unsterblichkeit".

Wie auch immer: Obwohl sie ein berührendes persönliches Porträt des späten Freud zeichnet, hat dieses Buch nur wenig mit der Psychoanalyse zu tun. Es ist der Denk- und Erlebnisbericht einer auch als Poetin eigenwilligen Frau, die versucht, den unermesslichen Kosmos einer Kreativität, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft untrennbar verschmolzen sind, und die eine letztlich okkulte Basis hat, mit einer sehr persönlichen Version der Psychoanalyse in Einklang zu bringen. Hilda Doolittle Tribut an Freud ist ungeachtet der starken Fiktionalisierung das Dokument der Beziehung zweier Menschen auf der Suche nach den Resten von Treue und Schönheit in einer bösen Welt des Verrates, unter der sie gemeinsam litten.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Hilda Doolittle, "Tribut an Freud von H. D.", mit einer Einführung von Klaus Theweleit, aus dem Englischen übersetzt von Michael Schröter, Verlag Urs Engeler

Verlag Urs Engeler - Hilda Doolittle