Bach mit therapeutischer Wirkung
Max Reger
Max Reger war und ist kein vielgeliebter und bestimmt auch heute noch ein wenig verstandener Komponist, ein Künstler an der Schwelle der Zeiten stand, einer, der den Blick zurück und vorwärts wandte, Kontrapunktik und den Willen zu Neuschöpfungen verband.
8. April 2017, 21:58
English Baroque Solists sowie Marc-André Hamelin
Max Reger (1873-1916) war kompositorisch eine sonderbar trotzige Mischung aus strengster Tradition und wütendster Funktionsharmonik, der harmonisch viele Fesseln sprengte, aber nie ein aufrührerischer musikalischer Umstürzler war. Immer ein dazwischen Stehender, auf der Schwelle zwischen Spätromantik und Moderne.
Bezeichnend eine Anekdote: Richard Strauss meinte einmal zu Reger: "Noch einen Schritt, und Sie sind bei uns", woraufhin Reger geantwortet haben soll: "Den Schritt mache ich aber nicht."
Johann Sebastian Bach war ihm "Anfang und Ende aller Musik". An die 150 Bearbeitung Bachscher Werke finden sich in Regers Oeuvre.
Langsamer als das Original
Im Sommer 1904, Reger ist 31 Jahre alt, entstehen die Variationen und Fuge über ein Thema von Johann Sebastian Bach. Das Thema entnimmt er dem Duett "Sein Allmacht zu ergründen, wird sich kein Mensche finden" für Alt und Tenor aus der Kantate "Auf Christi Himmelfahrt allein", BWV 128.
Max Reger verlangt das Thema, das seinen Variationen Op. 81 zugrunde liegt, durchwegs "süß und sehr legato" zu spielen, eben wie ein Oboensolo. Das Tempo ist zwar andante angegeben, aber um einiges langsamer und getragener als im Original. Es muss ja Möglichkeiten für tempomäßige Steigerungen in den Variationen offenlassen. Dem 14-taktigen Quasi-Adagio lässt Reger 14 Veränderungen folgen, die erste ist noch eng an das Thema angelehnt, umspielt behutsam die Vorlage. Hören Sie in unserem Audio das Thema in Bachs Original, gespielt von den English Baroque Solists unter John Eliot Gardiner, sowie Regers Version des Themas und den Beginn der ersten Variation, auf dem Klavier gespielt von Marc-André Hamelin.
Bachfreuden für Pianisten
Die Pianisten lieben Regers Bach-Variationen, für sie sind sie die logische Fortsetzung der großen Variationen-Zyklen für Klavier, von den Goldberg- über Beethovens Diabelli- bis hin zu Brahms' Händel-Variationen. "Seine Stücke lassen im einen Augenblick an babylonisches Stimmengewirr denken, im nächsten schon an eine stille Zuflucht; er kann geistreich wirken, verführerisch, melodisch, trocken oder spielerisch gewunden. Er ist meiner Ansicht nach der letzte verkannte‚ große Komponist der Vergangenheit", meint Reger-Verehrer Robert Cowan.
Stetig hat Reger sich mit Bach beschäftigt. Ein Kontinuum in seinem Schaffen. In einer Zeit des Umbruchs erhoffte sich Max Reger vom Bach‘schen Geist so etwas wie ein Heilmittel gegen die Auflösungstendenzen der Musik. "Ein gar kräftigliches, nie versiegendes Heilmittel nicht nur für alle jene Komponisten und Musiker, die an 'missverstandenem Wagner' erkrankt sind, sondern für alle jene 'Zeitgenossen', die an Rückenmarksschwindsucht jeder Art leiden", schreibt Reger in einer Umfrage "Was ist mir Johann Sebastian Bach und was bedeutet er für unsere Zeit?", welche die Zeitschrift "Die Musik" im Jahre 1905 unter Komponisten und Interpreten veranstaltet hatte.
Therapeutische Wirkung
Bach hatte therapeutische Wirkung auf Reger, war ein Stimulans, das seine schöpferische Phantasie belebte, war ermutigendes Vorbild, für kompositorische Probleme, eigenwillige, neue Lösungen zu suchen. Bach bearbeiten hieß für ihn immer: Lernprozess. Und alle seine kühnen Harmonieausweitungen, seine ausladenden Modulationen und seine überbordende Chromatik rechtfertigte Reger mit seinem ihn gesund machenden, täglichen, zwei Stunden währenden "Stahlbad für Herz und Hirn im Allvater Bach".
Und dann gab es noch hinter Regers Bach-Bearbeitungen die pädagogische Absicht, einem breiteren Publikum die Schätze zu erschließen, die um die Jahrhundertwende beileibe noch nicht Allgemeingut waren. So bearbeitet er die damals kaum gespielten Goldberg-Variationen oder trug in Konzerten Stücke aus dem Wohltemperierten Klavier vor oder kam mit Freuden der Anregung eines Verlegers nach, die sechs "Brandenburgischen Konzerte" vierhändig zu bearbeiten.
Hör-Tipp
Ausgewählt, Mittwoch, 15. Oktober 2008, 10:05 Uhr
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