Naturpoesie und oder Kunstpoesie
Des Knaben Wunderhorn
"Dieses Buch enthält die edelsten Blüten deutschen Geistes. Wer das deutsche Volks von seiner liebenswürdigsten Seite kennen lernen will, der lese diese Volkslieder", schrieb Heinrich Heine im Pariser Exil über die Sammlung von Arnim und Brentano.
8. April 2017, 21:58
Viele der folkloristischen Texte aus des "Knaben Wunderhorn" wurden durch anonyme Melodien zu einem künstlerischen Ganzen gemacht, andere wieder boten willkommenes poetisches Rohmaterial zur Vertonung durch zahlreiche Komponisten von Mendelssohn über Schumann, Brahms, Strauss bis Mahler etc.
Vor allem Gustav Mahler hat sich dieser Volksliedsammlung als Quelle bedient. Er war literarisch geradezu fixiert auf die liebenswürdige Naivität und den natürlichen Charme, der von vielen dieser Gedichte ausgeht. So ist etwa die Hälfte seines Oeuvres, für das er literarische Quellen benutzte, den Wunderhornliedern verpflichtet, ja sogar eine ganze Reihe seine Symphonien, konnten mit dem Beinamen Wunderhorn-Symphonien etikettiert werden.
Studentenfreundschaft
Wir verdanken diese Texte dem Engagement, der Energie und der Liebe zum Volkstümlichen zweier Studenten, die einander im Jahr 1801 in der Universitätsstadt Göttingen begegneten und eine lebenslange, künstlerisch fruchtbare Freundschaft schlossen: Clemens Brantano, Sohn eines reichen Frankfurter Kaufmannes, und Achim von Arnim, der einem musisch begabten brandenburgischen Adelsgeschlecht entstammte.
Brentano hatte sich erfolgreich gegen die, von den Eltern verordnete Einschulung in die Geschäfte des väterlichen Handelshauses gewehrt, und Arnim hatte sein erfolgloses Rechtsstudium abgebrochen.
"Arnim gehörte zu jenen seltenen Dichternaturen, die ihre poetische Weltansicht jederzeit von der Wirklichkeit zu sondern wissen," berichtet Joseph von Eichendorff, "während der lebhaftere Brentano, von einer übermächtigen Fantasie" beherrscht wurde.
Es dauerte nicht lange und die beiden zogen - durch Herders Volkslieder für das Thema begeistert - den Rhein hinab, um Lieder, Romanzen, Sagen und Märchen zu sammeln. Nach ein paar Jahren werteten Arnim und Brentano ihren folkloristischen Fischzug aus und veröffentlichten 1805 ihren ersten Band alter deutscher Lieder unter dem Titel "Des Knaben Wunderhorn", dem später noch zwei weitere folgen sollten.
Aufruf zur Mitarbeit
In "Beckers Reichsanzeiger" veröffentlichte Arnim 1805 einen Aufruf zur allgemeinen Mitarbeit und begründete das mit patriotischen Motiven: Durch die Besinnung auf das gemeinsame Erbe der Vorzeit sollte den Deutschen, die ja damals noch in einer Vielzahl von Staaten und Fürstentümern zersplittern waren, ihre kulturelle Einheit bewusst gemacht werden und - im Sinne der Tagespolitik - die nationale Opposition gegen den Eindringling Napoleon stärken.
Gruß aus der Fremde
"In diesem Augenblick liegt dieses Buch vor mir", schrieb Heinrich Heine als Zeitungskorrespondent in Paris, "und es ist mir, als röche ich den Duft der deutschen Linden. Die Linde spielt nämlich eine Hauptrolle in diesen Liedern, in ihrem Schatten kosen des Abends die Liebenden, sie ist ihr Lieblingsbaum, und vielleicht aus dem Grunde, weil das Lindenblatt die Form eines Menschenherzens zeigt. Auf dem Titelblatte jenes Buches ist ein Knabe, der das Horn bläst; und wenn ein Deutscher in der Fremde dieses Bild lange betrachtet, könnte ihn wohl dabei das Heimweh beschleichen."
Auf dem Index
"In diesen Liedern fühlt man den Herzschlag des deutschen Volks", schreibt Heine weiter in seinem Aufsatz über "die romantische Schule", "hier offenbart sich all seine düstere Heiterkeit, all seine närrische Vernunft. Hier trommelt der deutsche Zorn, hier pfeift der deutsche Spott, hier küsst die deutsche Liebe. Hier perlt der echt deutsche Wein und die echt deutsche Träne. Letztere ist manchmal doch noch köstlicher als ersterer; es ist viel Eisen und Salz darin. Welche Naivität in der Treue! In der Untreue, welche Ehrlichkeit!" Im Jahr 1833 hat Heine diesen Aufsatz verfasst. Zwei Jahr später wurden seine Schriften in Deutschland verboten!
Hör-Tipp
Musikgalerie, Montag, 10. November 2008, 10:05 Uhr
Link
Projekt Gutenberg - Des Knaben Wunderhorn