Ein auf Füßen gehendes Gedicht

Elfriede Gerstl

Elfriede Gerstl schreibt Gedichte, Essays und kurze Prosastücke. Besonders dem Thema der Geschlechterrollen hat sie sich verschrieben. Für Andreas Okopenko ist sie deshalb die "hartnäckig Anwesende des nicht plakativen Feminismus".

Elfriede Jelinek lobte die "unheimlich präzise Fragmenthaftigkeit" ihrer Gedichte, es gehe "nicht kürzer, nur länger, also schlechter". Gerade diese Knappheit, in der die Wiener Dichterin Elfriede Gerstl auch oft Alltägliches ohne poetische Überhöhung verdichtet, macht ihr Werk zu pointierten Schnappschüssen ihrer Zeit.

"Alles was man sagen kann, kann man auch beiläufig sagen": Dieses Zitat von Elfriede Gerstl könnte als Motto über dem gesamten Oeuvre der Wienerin stehen. Die großen Würdigungen des Literaturbetriebs wurden der Autorin, die sich als einzige Frau in der Wiener Gruppe behaupten konnte, erst spät zuteil, dafür aber geballt: 1999 erhielt Gerstl sowohl den Erich-Fried-Preis als auch den Georg-Trakl-Preis für Lyrik. 2003 folgte die Goldene Ehrenmedaille der Stadt Wien, im Jahr darauf der Ben-Witter-Preis. 2007 erhielt sie den Heimrad-Bäcker-Preis.

Elfriede Gerstl wurde 1932 als Tochter eines jüdischen Zahnarztes in Wien geboren. Den Nationalsozialismus überlebte Gerstl als Kind in diversen Verstecken in Wien. Nach 1945 studierte sie zunächst Medizin und Psychologie, brach 1960 aber ihr Studium ab, heiratete und brachte eine Tochter zur Welt.

Erste Gedichte veröffentlichte sie in den 1950er Jahren in diversen Zeitschriften wie "neue wege" und "protokolle". In den 1960er Jahren ging sie - "weil es mir unmöglich war eine Gemeindewohnung zu bekommen" - als Stipendiatin von Wien nach Berlin, damals Fluchtpunkt vieler österreichischer Literaten, darunter Gerhard Rühm und H.C. Artmann.

"Ein auf Füßen gehendes Gedicht" hat Elfriede Gerstl sich selbst einmal genannt. Die zierliche rothaarige und stets ausgesucht gekleidete Hutträgerin war als solche eine stadtbekannte Erscheinung und Szenefigur. Das Tragen und Sammeln von nostalgischer Mode - literarisch verarbeitet unter anderem im Band "Kleiderflug. Texte - Textilien - Wohnen" (1995) - hat für sie "viel mit Suche nach Erinnerungsfetzen zu tun", erklärte sie einmal im "Falter"-Interview.

Eine gemeinsame Aktion von Österreich 1 und Der Standard

Übersicht

  • Wurfgedichte