Das größte Fest der Welt

Kumbh Mela

Das größte Fest der Welt geht in Indien über die Bühne: ein orgiastisches Spektakel, eine Sehnsuchtsreise für Millionen. In das Innenleben des Festes drang der Fotograf Thomas Dorn vor, für den Text zeichnet Ilija Trojanow verantwortlich.

Das größte aller großen Feste geht auf die Legende vom "Quirlen des Milchozeans" zurück. Um aus ihm den Nektar der Unsterblichkeit zu filtern, wurde der Milchozean einst von den Göttern und Dämonen gemeinsam gequirlt. Als sie einen Kumbh, einen Topf oder Krug, voll Nektar gesammelt hatten, entbrannte ein Streit und Vishnus Reittier Garuda flog mit dem Unsterblichkeitstrank davon. Dabei fielen vier Tropfen des Nektars zu Boden. An diesen Stellen sind heute die Städte Nasik am Godavari, Ujjain am Shipra, Haridwar am Ganges und Prayag nahe Allahabad am Zusammenfluss von Ganges und Jamuna.

Alle drei Jahre findet nun an einem dieser Orte - an jedem Ort also alle zwölf Jahre - ein riesiges Fest statt, begleitet von einem rituellen Bad, das von den Sünden befreit: die Kumbh Mela. Alle zwölf mal zwölf Jahre - da ist angeblich eine besonders günstige astrologische Konstellation anzutreffen - wird eine sogenannte Maha Kumbh Mela gefeiert, ein Großes Fest des Topfes.

Pilger, Gurus und Schaulustige

Das letzte dieser nur alle 144 Jahre stattfindenden Großen Feste ereignete sich vor sieben Jahren in Prayag bei Allahabad. Ein gigantischer Strom von Pilgern, Gurus und Schaulustigen - nicht nur aus Indien - beging das heilige Fest, Wikipedia spricht von 90 Millionen. Unter ihnen waren auch der Fotograf Thomas Dorn und der Schriftsteller Ilija Trojanow. Ihre Impressionen haben Dorn und Trojanow jetzt zu einem großen Band gebündelt, der aus knappen Texten und vielen, oft doppelseitigen Farbfotos besteht: keine Reisereportage im klassischen Sinn, sondern eine Sammlung von Momentaufnahmen, Reflexionen und Zitaten.

Sie handeln von einfachen Pilgern und heiligen Sadhus, von Fanatikern, Quacksalbern und Verklärten, die mit Bussen gekommen waren oder zu Fuß, ihr Bündel auf dem Kopf, die in gigantischen Camps hausten und, wenn sie nicht ihr heiliges Bad nahmen, beteten und sangen, Haschpfeife rauchten und Tee tranken, Vorträgen lauschten oder religiösen Spielen.

Das Fest war nicht nur ein Ort für Begegnungen, sagt Ilija Trojanow, sondern auch "Marktplatz, Urlaubsresort und Politbühne": "Es wird an diesen endlosen Sandbänken entlang der Flüsse und zwischen ihnen eine Stadt aufgebaut, eine Zeltstadt, die Strom, Wasser und Telefon hat. (...) An den Tagen, an denen es nicht ein rituell erhöhtes Bad gibt, gehen die Leute in der Früh trotzdem erstmal zum Fluss, dann beschäftigen sie sich tagsüber mit vergnüglichen Sachen, es gibt sehr viel Musik, es gibt Theater, mit informativen Sachen, es gibt Vorträge aller Art, oder mit politischen Sachen. (...) Eigentlich ist es ein Abbild der gesamten indischen Gesellschaft."

Heiliges Wasser für 101 US-Dollar

Drei Wochen verbrachten Trojanow und Dorn bei der Kumbh Mela in Kumbhnagar, der Feststadt auf Zeit, drei Wochen, die sie im Camp eines Ashrams verbrachten, umgeben von Sadhus - und nicht im eigens errichteten Pressepark, denn das indische Fest ist längst auch ein riesiges Medienspektakel.

Trojanow spricht von der ersten "virtuellen Mela" der Geschichte. Gurus predigten im Netz, boten Lebenshilfe per E-Mail an, und eine Hare-Krishna-Organisation lockte auf ihrer Website mit einem Sonderangebot: einem Fläschchen heiligen Wassers für 101 US-Dollar. Dennoch wäre es zu kurz gegriffen, die Kumbh Mela nur als Riesengeschäft zu betrachten.

"Ganz viele Leute in Indien gehen zum Ganges, weil sie einen großen Leidensdruck verspüren", erzählt Trojanow, aber jenseits davon gebe es etwas, das alle eine, "nämlich die Reinigung. Weil sie alle davon ausgehen, dass an den vier Badetagen das ritualisierte Bad im Ganges sie reinigen wird und sie dann als bessere, befreitere Menschen weiterleben können."

"Topf voll Luft und Sperma"

Die Bilder dieses großformatigen Bandes zeigen Menschen, leicht bekleidet, die sich ins eiskalte Ganges-Wasser stürzen, und andere, die nackt und mit Asche beschmiert mit der Trisula, einem Dreizack in der Hand, am Ufer warten; zeigen Prozessionen von Eremiten auf Pferden und Gurus auf geschmückten Wagen, eskortiert von ihrem Fußvolk; Buchverkäufer vor vollen Zelten und Menschen, die nach dem heiligen Bad auf Pontonbrücken in die Stadt zurückdrängen.

Thomas Dorn fotografierte Zeremonienmeister im Brokatgewand, die kahlgeschorene Novizen beaufsichtigen, die sich bei der Kumbh Mela für das Mönchsdasein entscheiden, und einen jungen Sadhu, der sich in Selbstkasteiung ergeht und auf einem Bein steht, wie es heißt seit drei Jahren, während ein anderer mit einem Foto, das angeblich - man kann es auf der Aufnahme im Buch nicht erkennen - zeigt, wie er mit seinem Penis einen halben Zentner Ziegelsteine stemmt.

"Überall nur Durcheinander / Veden, Koran, Heilig, Hölle" dichtete schon im 15. Jahrhundert der Dichter Kabir, für den das Ganze ein orgiastisches Spektakel war, weshalb er unter Kumbh keinen Krug mit Nektar verstand, sondern einen "Topf voll Luft und Sperma". Kabir ist ein Lieblingsdichter Trojanows, immer wieder wird er in seinem Buch zitiert. "Er hat Gedichte geschrieben, die jegliche Ideologie und Verkrustung in der Religion ganz radikal anprangern", erklärt Trojanow.

Vertreter des Welthindurats

Einer wie Kabir täte heute Not, denn nicht alles war Friede, Freude und Harmonie auf der Kumbh Mela. Auch davon zeugt der Band. Da gab es Prügeleien und Angriffe auf den Fotografen. Und finster dreinblickende, schnurrbärtige Uniformierte, die den Eingang eines Zeltlagers bewachten: den Eingang des nationalistischen Hinduverbandes VHP, der auch auf der Kumbh Mela immer präsenter wird - und Indien von allen Nicht-Hindus "reinigen" will.

"Da ist die sogentannte Hindutva, die mit verschiedenen Organisationen, darunter VHP, das ist der Welthindurat, unglaublich engstirnig, fanatisch und intolerant behauptet, Indien gehört nur den Hindus, wer kein Hindu ist, ist per se kein wirklicher Inder", erklärt Trojanow.

Nachhaltiger Eindruck

Ilija Trojanow, der fast sechs Jahre in Indien lebte, hat nicht zum ersten Mal eine Pilgerreise gemacht. Pilgerreisen, sagt er, sind eine der Urformen menschlicher Beschäftigung mit der Ferne, sie sind "spirituelle Sehnsuchtsbewegungen". Neben einer religiösen hätten sie auch eine soziale und kulturelle Funktion, meint Trojanow und erklärt, was für ihn Pilgerschaft ausmacht: "Dieses Nebeneinander von einer allgemein definierten Suche, bei der sich alle wiederfinden, bei der Gemeinschaft konstruiert und bestätigt wird, und einer ganz intimen, persönlichen, eigenwilligen, selbst bestimmten Suche, die mitschwingt."

In eindringlichen Farbfotos und pointierten Texten haben sich Thomas Dorn und Ilija Trojanow der Kumbh Mela angenähert, dem größten Fest der Welt. Eine Pilgerreise kann ein Bilderbuch natürlich nicht ersetzen, aber doch einen nachhaltigen Eindruck vermitteln von einem Fest zwischen Besinnlichkeit und Ausgelassenheit, zwischen spiritueller Zeremonie, Volksbelustigung und Medienspektakel, einen Eindruck vom Nebeneinander unterschiedlichster Traditionen, Kulturen und Gebräuche. "An einem einzigen Ort zusammengeführt, wirkt dieses Nebeneinander, als hätten Minerva, Meister Eckart und Calvin gemeinsam eine Sitcom-Version des Alten Testaments geschrieben", notiert Trojanow. "Trotzdem scheinen sich die Pilger in diesem ewig wirkenden Tohuwabohu heimisch zu fühlen."

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Ilija Trojanow, Thomas Dorn, "Kumbh Mela. Indien feiert das größte Fest der Welt", Verlag Frederking & Thaler

Link
Frederking & Thaler - Kumbh Mela