Fast eine unendliche Geschichte
Die Abschaffung der Arten
Eingebettet in einen verwirrenden Kosmos aus aberwitzigen naturwissenschaftlichen Konstrukten, entwirft Dietmar Dath ein Universum in ferner Zukunft - wenn die Tiere sich hoch entwickelt haben und die Menschen eine kleine Minderheit sind.
8. April 2017, 21:58
"Die Idee war, wie würden eigentlich Lebewesen aussehen, die in Kollektiven zusammenleben, diese Angstfreiheit des Tiers haben, aber dazu noch die Vorstellungsfähigkeit der Wesen, die an der Stelle nicht angstfrei sind", erzählt Dietmar Dath. "Was rauskam, war letztlich die Vorstellung, eine Geschichte zu erzählen, in der mit technischen, aber auch künstlerischen Mitteln von letztlich sowas wie Liebe oder Schönheitssinn getrieben, ein neues politisches und moralisches Universum erfunden wird."
Genau das tut Dietmar Dath in seinem Roman "Die Abschaffung der Arten": Sein Universum ist in einer fernen Zukunft angesiedelt, in der die menschliche Rasse so gut wie ausgerottet ist. Nur in einigen Gegenden leben noch verstreut die als "Minderlinge" bezeichneten und geknechteten Überreste der Menschheit. Stattdessen haben die Tiere das Kommando übernommen und sich weiterentwickelt. Unter der Herrschaft des Löwen mit dem stolzen Namen Cyrus Iemelian Adrian Vinicius Golden ist dank des exzessiven Einsatzes biotechnischer Errungenschaften eine neue Population entstanden, die "Gente", sprechende Tiere, die aber eigentlich gar keine Tiere mehr sind, sondern Mischformen aus verschiedenen Kreuzungen und biologisch-physikalischen Experimenten.
"Zuerst habe ich drauflos erfunden, und zwar tatsächlich auf der Basis von halberinnertem Schulwissen, populärwissenschaftlichen Zeitschriften und Gesprächen mit Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftlern", so Dath. "Dann kam die zweite Phase, nämlich: Geht das überhaupt? (...) Antwort: Ja, so nicht wie bei dir, aber im Prinzip geht's."
Komplex und ausschweifend
Eingebettet in einen verwirrenden Kosmos aus aberwitzigen naturwissenschaftlichen Konstrukten entwirft Dietmar Dath seine Handlung: Als die Gente mit einer neuen Bedrohung konfrontiert werden, nämlich den äußerst kampfesmutigen "Keramikern", sendet der Löwe den Wolf Dmitri Stepanowitsch als Unterhändler aus. Dmitri reist durch das Land, beginnt eine Affäre mit der Lüchsin Clea Dora, die sich später als Tochter des Löwen entpuppt, und begreift, dass auch seine Welt nicht ewig ist.
Damit gibt sich Dietmar Dath jedoch nicht zufrieden: In den weiteren Teilen des Buches ist auch die Zivilisation der Gente zusammengebrochen. Zwei Nachkommen von Dmitri Stepanowitsch und Clea Dora leben auf den mittlerweile besiedelten Nachbarplaneten der Erde und begegnen einander, nachdem sie beide Erscheinungsform und Geschlecht gewechselt haben. Die Geschichte wird dabei immer komplexer und ausschweifender; krönender Schlusspunkt ist schließlich eine Zeitschleife, in der der Autor das Ganze auslaufen lässt.
Der kluge Esel
Tatsächlich ist die Handlung in Wirklichkeit noch weitaus zerfächerter. Da gibt es unzählige Nebenstränge, philosophische oder physikalische Exkurse und bizarre Figuren, etwa den Esel Storikal, dessen Sprache mit comicartigen Schnauf-, Zisch und Grunzlauten durchsetzt ist. Zwischen "hagackel, wei, hoppi, jahautz, hrrrgäh" verbirgt sich irgendwo ein Sinn und Dath hat gerade für seinen Esel besonders viel übrig, sieht in ihm den Hofnarren in einem Königsdrama mit Shakespeare-haften Strukturen.
"Er ist ja der erste, der die Zusammenhänge sieht, es versteht ihn halt keiner", erklärt Dath dazu. "Und in dieser Flut von Quatsch wichtige Wahrheiten ausposaunen, das ist natürlich genau die Hofnarren-Funktion."
Alles andere als einfach
Einfach macht Dietmar Dath es seinen Lesern jedenfalls nicht - und das mit voller Absicht: "Wenn die Darstellungsabsicht ist, die Totalität eines Universums zu zeigen, in dem moralische, künstlerische, lebensweltliche und sonstige Entscheidungen gefällt werden müssen, dann wird es eben schwierig und die Hoffnung, die man dann nur haben kann, ist, dass irgend etwas da drin ist, das einen weiterzieht und einen bis ans Ende gelangen lässt, (...) weil halt um die nächste Ecke vielleicht auch doch wieder was Tolles kommt."
Die Schwierigkeit des Buches zeigt sich auch in der Reaktion mancher Rezensenten: Einige versuchen, sich einer Bewertung zu entziehen, andere schreiben sich den über 500 Seiten aufgebauten Zorn von der Seele. Dabei hätte das Buch, wie der Autor meint, auch noch umfangreicher werden können, denn für ihn selbst war seine Welt durchwegs faszinierend: "Weil sie so völlig anders war, lud sie dazu ein, sie endlos anzureichern in der Tat. Es hätte dreimal so lang werden können."
Aber schon die vorliegende Fassung stellt hohe Anforderungen an den Leser. Dath liefert ein sprachlich-naturwissenschaftliches Feuerwerk mit Sätzen wie zum Beispiel: "Korrekturen und Emendationen des Gesagten schossen wie Köcherfliegen aus Licht im Femtosekundentakt zwischen den Transceivern auf den Spitzen der zwei Turmgewaltigen hin und her."
Keine Deutung
Der eigentliche Kern des Buches, nämlich eine ganz konkrete Warnung an die Menschheit ihren Umgang mit der Welt betreffend, droht dabei fast unterzugehen - was aber den Autor selbst nicht weiter stört. Schließlich lehnt Dietmar Dath eine Deutungshoheit ab und hat bezüglich der Lektüre nur einen recht bescheidenen Wunsch an seine Leser: "Gelesen werden möchte ich so, dass man sich vielleicht versucht dabei vorzustellen, irgendwas hat er auf jeden Fall gewollt."
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Dietmar Dath, "Die Abschaffung der Arten”, Suhrkamp Verlag
Link
Suhrkamp - Dietmar Dath