Stille Schlüsselfigur der Musikgeschichte

For Morton Feldman

Ein Porträt des amerikanischen Komponisten Morton Feldman: Er ist eine der stillen Schlüsselfiguren der Musik des 20. Jahrhunderts. Feldmans Werke sind sehr leise und dafür aber umso länger. Bericht einer Hörerfahrung.

Beginn von "For Bunita Marcos"

Morton Feldmans Stück für Solopiano "For Bunita Marcos" in der Einspielung von Markus Hinterhäuser dauert genau 72 Minuten und 46 Sekunden. Ein einzelner Track, ohne Unterbrechung, ein Strom von scheinbar wahllos hingetupften Tönen, der kein Ende nehmen will. Das Stück ist sehr zart und nimmt sich Zeit, den Klangfarben des Klaviers und den Interferenzen nachzuhören.

Es gibt nichts Virtuoses, keine expressiven Höhepunkte in diesem Stück, das der Komponist einer seiner Schülerinnen gewidmet hat. "For Bunita Marcos", wie so viele andere Stücke von Feldman, will vordergründig nichts, es drängt sich nicht auf, es hört sich gewissermaßen selber zu. Der Musikwissenschaftler Martin Erdmann hat für die Musik von Morton Feldman den Begriff der "Losigkeit" erfunden.

Allen anderen gleichgültig

Morton Feldman in einem Gespräch mit Heinz Klaus Metzger im Jahr 1971: "Ich lebte in einer Gesellschaft von Malern und Schriftstellern, wir waren frei, weil wir allen anderen gleichgültig waren. Und vielleicht ist diese Freiheit die beste für eine Gesellschaft, oder für einen Komponisten. Ich machte Aufführungen, wo das Publikum nicht einmal die Energie hatte zu pfeifen oder zu buhen. So uninteressiert waren sie. Ich dachte immer schon, die beste Umgebung für einen Künstler ist die Indifferenz."

Die Gesellschaft, von der Morton Feldman hier spricht, ist die Avantgarde-Szene im New York der 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Eine Gruppe von Außenseitern, Malern, Choreographen, Dichtern und natürlich auch Komponisten, die mit einer dezidiert amerikanisch gedachten Kunst die kulturelle Vormachtstellung des alten Europas radikal in Frage stellten. Leute wie John Cage, Mark Rothko, Merce Cunningham, Jasper Johns, Willem DeKooning und viele andere waren Freunde, Wegbegleiter und vor allem Inspiration für Morton Feldman. Dem Prinzip der musikalischen Abstraktion blieb er bis zu seinem Tod 1986 treu, auch wenn er mit den strengen seriellen Techniken seiner Komponistengeneration wenig anfangen konnte und sich im Zweifelsfall mehr auf seine Intuition verließ.

Musik als endlos geknüpfter Teppich

Morton Feldman beginnt sich in den 1970er Jahren für alte Teppiche aus dem nahen und mittleren Osten zu interessieren. Insbesondere die Teppichmuster aus Anatolien haben es im angetan. Er selbst hat in zahlreichen Essays und Vorträgen auf die Gemeinsamkeiten des Teppichmusters mit seiner Kompositionsmethodik hingewiesen. Aus einem relativ beschränkten Repertoire von festgelegten Motiven und Mustern haben die Teppichknüpferinnen des 18. und 19. Jahrhunderts in langen Stunden mühsamer Handarbeit eine unendliche Fülle an Variationen, Farbnuancen, Größen und Zusammenstellungen hervorgebracht. Und es waren genau diese subtilen Abweichungen von reiner Symmetrie und Proportion, die Morton Feldman in seinen späteren Werken musikalisch ausgelotet hat.

In seinem Aufsatz "Crippled Symmetry" setzt Morton Feldman die Farbigkeit der Teppiche mit seinen eigenen Klangfarben in Verbindung: "Eine der interessantesten Sachen an einem schönen alten Teppich in natürlichen Pflanzenfarben ist, dass er 'abrash' hat. 'Abrash' entsteht, wenn man in kleinen Mengen färbt. Sie können Wolle nicht in großen Ballen färben. Es ist also das Gleiche und doch ist es nicht das Gleiche. Es hat eine Art mikrotonale Färbung. Und wenn Sie es sich anschauen, hat es diesen herrlichen Schimmer, diese unmerklichen Schattierungen."

Vierstündiges Streichquartett

Morton Feldmans Entwicklung führt von der Erfindung einer neuen grafischen Notation in den 50er Jahren, die dem Interpreten ganz neue Freiheiten in der Ausführung gibt, hin zu immer längeren Werken, deren Höhepunkt das gut vierstündige zweite Streichquartett (1983) darstellt.

Ein undurchdringlicher Monolith, der in seiner maßlosen Ausdehnung und gleichzeitigen Verweigerung jeder herkömmlichen musikalischen Entwicklung zur besonderen Herausforderung an Zuhörer und Interpreten wird.

Hör-Tipp
Zeit-Ton, Dienstag, 18. November 2008, 23:05 Uhr

Links
Universal Edition - Morton Feldman
Morton Feldman Page