Zum Lachen und zum Weinen
Samba, Sonne und Bücher
Der eine ist Arzt, der andere Diplomat, der dritte Fußballfan und Jazzer, und alle schreiben sie. Mit ihren Geschichten bringen sie ihre Leser zum Lachen - wenn es auch oft in der Kehle stecken bleibt, weil die Wahrheit hinter dem Spaß zu bitter ist.
8. April 2017, 21:58
"Ich bin Arzt, Schriftsteller und Jude. Was könnte einem Schlimmeres zustoßen?" So charakterisiert sich der in Porto Alegre lebende Moacyr Scliar schmunzelnd. Und genauso sind auch seine Bücher: Schmunzelnd erzählt er von den Verrücktheiten seiner Hauptpersonen, und den verrückten Geschehnissen, wohl wissend, dass der ebenfalls schmunzelnde Leser bald nach Atem ringen wird, aus Bestürzung über das Dahinter, um bald wieder über einen skurrilen Einfall des Autors zu schmunzeln.
Wenn es zum Beispiel um das unmögliche gemeinsame Leben mit einem sehr andersartigen Mitbürger geht, im Roman "Der Zentaur im Garten". Oder vom noch unmöglicheren Traum, die Idee des Kommunismus ins reale Leben zu übertragen, wie Mayer Guinzburg sein ganzes Leben lang in den verschiedensten Variationen versuchen wird. Sein erster ins Deutsche übersetzte Roman "Die Ein-Mann-Armee" erzählt davon.
Kleine Monster
Fantastisch und verrückt geht es in den Kurzgeschichten von Murilo Rubiao zu. Er hat als Journalist angefangen und wurde schließlich Botschafter in Spanien. Seine Geschichten sind voll von ganz kleinen Monstern, die im Laufe der Erzählung immer größer und fordernder werden. Die geliebte Frau, die alles von ihrem Mann haben kann, das Meer, den Baum des Nachbarn, ein Kind - und erhält. Der Feuerwerker, der zwar totgefahren wurde, aber noch Wochen mit seinen Mördern Saufen geht. Der Straßenjunge, der als Häschen einen harmlosen Strandspaziergänger um eine Zigarette anschnorrt und sich dann in eine Giraffe, einen Tiger, einen bunten Vogel und ein Känguru verwandelt. Die Fremde, die Tag für Tag im Restaurant ihres Gatten am selben Tisch sitzt, und die der Besitzer irgendwann als seine eigene Ehefrau erkennt.
Kurze und Kürzest-Geschichten
Was genau Luis Fernando Verissimo macht, ist schwer zu sagen. Er zeichnet Comics, er spielt mit Hingabe Saxofon in einer Jazzband namens Jazz 6. Er nimmt seine Fußballfan-Aufgabe, den Sport Club International zu unterstützen und zu betreuen, sehr ernst - immerhin hat der Verein 2006 den FIFA Club World Cup gewonnen.
Er schreibt Comedy-Serien, und er ist ein Meister der kurzen und Kürzest-Geschichten, alle geboren aus der scharfen Beobachtung des ganz normalen Alltags. Schmollende Ehefrauen, von Gewissenbissen gepeinigte Fremdgänger, bei einer Lüge ertappte Kleinpolitiker - der gesamte Kosmos des Alltags eingedampft in atemberaubenden Geschichten, die in ihrer Konzentration durchaus mit diversen Produkten aus der Molekularküche vergleichbar sind.
Verdrehtes
Und dann gibt es noch Joao Ubaldo Ribeiro. Ihm gelingt es, in seinem Roman "Brasilien, Brasilien" die Gräuel der brasilianischen Geschichte in völlig einleuchtender Weise zu kaschieren. So erzählt er vom Rachefeldzug einiger entflohener Sklaven, die Jagd auf jene Priester machen, die die Sklaverei als Gott gewollt darstellen, um sie dann zu Eingemachtem zu verarbeiten.
Der absolute Meister der phantastischen, skurrilen, sonnendurchfluteten brasilianischen Geschichten ist Jorge Amado. Wer, wenn nicht er, würde es wagen, aus der Heiligen Barbara eine lebendige afrikanische Liebesgöttin zu machen, die Bahia drei Tage lang durcheinander wirbelt?
Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 27. November 2008, 11:40 Uhr
Buch-Tipps
Moacyr Scliar, "Die Ein-Mann-Armee", Edition Weitbrecht
Moacyr Scliar, "Der Zentaur im Garten", Hoffmann & Campe
Murilo Rubiao, "Der Feuerwerker Zacharias", Suhrkamp
Luis Fernando Verissimo, "Du hörst mir ja doch nie zu. 101 Erzählungen über die Liebe und andere Missverständnisse", Europa Verlag
Joao Ubaldo Ribeiro, "Brasilien, Brasilien", Suhrkamp
Jorge Amado, "Das Verschwinden der Heiligen Barbara", Volk & Welt